Hoch droben, in 2.000 Metern Seehöhe, da ist man näher bei Gott als im Tal. Vielleicht ein Grund für die Entscheidung, ein Leben in Abgeschiedenheit auf einer entlegenen Alm zu führen. So wie das Johannes (Franz Rogowski) und seine Mutter Maria (Susanne Jensen) tun, die hier am Berg ausharren, als warteten sie auf die Erlösung. Johannes ist ein recht stummer junger Mann, der des Sprechens kaum mächtig ist, sondern lieber mit Falken kommuniziert. Mit der Mutter wird viel gebetet, es gibt tägliche, festgelegte Rituale und es spielen Drohnen hier eine große Rolle, mit denen das Gelände abgeflogen wird.

Die Ausgangssituation in Peter Brunners Spielfilm "Luzifer", der letzten Sommer in Locarno Premiere feierte und jetzt in die heimischen Kinos kommt, lässt auf ein karges Dasein schließen, das Johannes und seine Mutter hier oben fristen. Aber die Zivilisation wird sie einholen, und zwar in Gestalt des Gebirgstourismus; ein Ski-Gebiet soll hier oben entstehen, es ist, als gäbe es daraus kein Entrinnen. Für Johannes ein Schock, den er nicht wegstecken kann. Das muss direkt mit dem Teufel zu tun haben, den Johannes wie nichts sonst auf der Welt fürchtet. Die Ereignisse verdichten sich, und am Ende steht ein Exorzismus.

Franz Rogowski und Peter Brunner (r.) in Locarno. - © Katharina Sartena
Franz Rogowski und Peter Brunner (r.) in Locarno. - © Katharina Sartena

Peter Brunner erzählt in "Luzifer" eine "auf einem wahren Exorzismus beruhende Geschichte, die zu einer emotionalen Untersuchung über die Frage wird, wie man mit Religion umgeht", so Brunner. "Wir fragten uns, wie es dazu kommen kann, dass ein Kind von einer stark religiösen Mutter derart beeinflusst wird, dass es sich später selbst radikalisiert. Zugleich zeigt der Film, welche möglichen Auswege es gibt. Es geht also nicht nur um das Hineinfallen in einen Fanatismus, sondern auch darum, wie man ihm wieder entkommen kann", so Brunner. "Göttlichkeit oder Spiritualität sind zwei Begriffe, die man als Sehnsuchtsorte bezeichnen kann, und sie sind die zentralen Begriffe dieses Films", findet Hauptdarsteller Franz Rogowski, der hier als wortkarger Protagonist zurückgeworfen ist auf Mimik und Körperlichkeit.

"Ich bin ein großer Fan der Natur", verrät er, der sich für die Rolle sehr intensiv vorbereitet hat: "Was mir bei diesem Film sehr geholfen hat, war, dass Peter es mir ermöglichte, in einem Bus im Wald zu wohnen. Das heißt, ich konnte mich sowohl am Set als auch vor und nach den Dreharbeiten in kalten Eisbächen waschen und mir auf einem kleinen Gaskocher das Essen zubereiten", sagt Rogowski, der sich seiner Rolle auf diese Weise annäherte. Und die religiöse Komponente? "Ich würde schon sagen, dass ich einen Glauben habe, aber halt nicht an einen Verein oder einen Gott glaube, sondern mehr an etwas Spirituelles. Es geht mir mehr darum, eine Art von Verbundenheit mit der Welt in ihrer Gesamtheit zu spüren, wo man als Mensch begreift, dass man Teil von etwas nicht Verstehbarem ist."

Rollenumkehr zwischen Mutter und Sohn

Im Film, der von Ulrich Seidl produziert wurde, vollzieht sich mit der Zeit eine Art Rollenumkehr: Der Sohn und die Mutter tauschen sozusagen Platz, weil Johannes sie vor dem Teufel bewahren will. "Er übernimmt die Rolle der Mutter und wendet die Rituale des Glaubens an, die er von ihr gelernt hat. Ihre Rettung wird zur fixen Idee", sagt Peter Brunner, der damit an den Kernfragen der Geschichte angelangt ist: "Wieso opfert jemand ein Leben im Zeichen seines Glaubens? Wie können Kinder zu Mördern werden? Was lehren wir unsere Kinder? Welche Mechanismen führen geradewegs in den Fanatismus?"

All diese Fragen beantwortet "Luzifer" freilich nicht in einer Endgültigkeit, vieles bleibt abstrakt im Raum stehen und regt zum Nachdenken an, vor allem an jenen Stellen, in denen die Natur zur Hauptdarstellerin wird. "In diesem Film ist die Natur kein Idyll, keine romantische Lebensquelle, die wir genießen können", sagt Brunner. "Die Natur hat einen viel deutlicheren Einfluss auf uns als wir es je vermutet hätten: Sie ist uns einerseits gegenüber gleichgültig und andererseits sind wir ein Teil von ihr, sie ist in uns", sagt Brunner. "Das wissen wir seit dem Virus alle."