Catherine Corsini legt mit ihrem neuen Film "In den besten Händen" (derzeit im Kino) ihren Finger in die Wunde der französischen Seele, die zwischen Gelbwesten-Protesten, Pandemie, Macron-Anhängern und Le Pen-Fans gespalten scheint: Raf (Valeria Bruni Tedeschi) und Julie (Marina Foïs) sind ein Paar, das kurz vor der Trennung steht. Sie finden sich am Abend einer Pariser Gelbwesten-Demo in einer Notaufnahme wieder, nachdem Raf gestürzt ist. Ihr Treffen mit Yann (Pio Marmaï), einem verwundeten und wütenden Demonstranten, wird viele Gewissheiten und Vorurteile erschüttern. Draußen steigt die Spannung. Das Krankenhaus muss unter Druck seine Türen schließen. Es wird zu einem mitunter komischen aber auch tragischen Mikrokosmos der französischen Befindlichkeiten.
"Wiener Zeitung": Ihr Film schildert einen fiebrig aufgeheizten Alltag in einer Notaufnahme, kann aber auch als Zustandsbild der französischen Nation gelesen werden. Wie steht es um diese Nation?
Catherine Corsini: Es ist vieles im Argen. Mein Film heißt im Original "La fracture", also "Der Bruch". Damit ist nicht nur der Knochenbruch meiner Protagonistin Raf gemeint, sondern auch der Bruch, der sich durch Frankreichs Gesellschaft zieht. Die Gelbwesten-Proteste von vor zwei Jahren waren nur der Auftakt zu einer gravierenderen Veränderung. Der benachteiligte Teil der Bevölkerung, der fernab von Infrastruktur, Verkehrsmitteln, Schulen oder öffentlichen Diensten leben muss, wird immer noch nicht gehört und hat immer noch Schwierigkeiten, sich würdig zu versorgen. Viele stehen jetzt kurz vor dem Burnout. Dieser Bruch in der Gesellschaft hat seinen Ausgang während Jacques Chiracs Präsidentschaft in den 1990er Jahren genommen und ist seither immer größer geworden. Es ist wie eine immer noch klaffende, unbehandelte Wunde. Mir war klar, dass ich "La Fracture" nicht für den sexiesten Titel der Welt hielt. Ich dachte: Wird er die Leute dazu bringen, sich den Film anzusehen? Ich hatte andere Titel ausprobiert, aber gleichzeitig passt er so gut zu dem, was der Film über soziale Themen erzählt.

Man wird Zeuge, dass Valeria Bruni-Tedeschi in dem Film scheinbar mühelos ihre Emotion zu steigern imstande ist. Was zeichnet sie aus?
Valeria ist außergewöhnlich. Ich kenne sie sehr gut. Das Vertrauensverhältnis, die Freude an der Zusammenarbeit mit ihr, die Freiheit, der Wagemut, es war wunderbar. Ich lebe meine Filme so intensiv, wenn ich sie drehe, dass ich die Schauspieler nicht loslasse. Ich verbeiße mich sozusagen in ihren Waden. Gute Schauspieler lassen sich gerne drängen, weiter, höher zu gehen. Valeria ist so jemand.
Sie haben für den Film auch jede Menge echtes medizinisches Personal gecastet.
Das musste ich, denn schließlich sollte es echt aussehen, wenn ein Pfleger eine Trage schiebt. Laien kennen die professionellen Handgriffe nicht so gut. Wir drehten den Film ja nicht in einem echten Spital, weil wir das während der Pandemie und im Lockdown gar nicht durften. Also bauten wir die Notaufnahme auf dem Gelände einer Flugzeugfabrik nach, die damals ohnehin pandemiebedingt geschlossen war. Dennoch sollte alles echt aussehen, und dazu gehören nun mal auch echte Pfleger.
"In den besten Händen" funktioniert auch als Tragikomödie, ganz im Stile der italienischen Komödie. Was mögen Sie daran?
Zunächst einmal ist es das Prinzip der Komödie im Allgemeinen, Charaktere, die nichts miteinander zu tun haben, zu konfrontieren. Ich mag die Klassenverhältnisse in der italienischen Komödie. Das sind Filme, bei denen man merkt, dass das soziale Umfeld entscheidend ist. Es bietet Momente der Wahrheit, die man in einer dramatischen Form niemals so pointiert und zugespitzt formulieren könnte.
Die italienische Komödie operiert meistens mit männlichen Hauptfiguren, bei Ihnen sind fast alle Rollen mit Frauen besetzt. Ein gesellschaftspolitisches Statement?
Das Patriarchat hat so viel Chaos angerichtet, dass es noch immer an Geschichten mangelt, die weibliche Perspektiven zeigen. Als Filmemacherinnen bleiben wir in der Minderheit und wenn wir Preise gewinnen, haben wir den Eindruck, dass wir Almosen bekommen. Mein Film will uns sagen, dass wir eine Gesellschaft wollen, in der wir miteinander reden und einander zuhören können, und dass wir aufhören, Krieg gegeneinander zu führen. Es ist traurig zu sehen, dass wir uns in einem ultraliberalen Moment befinden, in dem Einzelpersonen überhaupt nicht zugehört wird.
Als Ihr Film 2021 in Cannes Premiere feierte, waren Sie eine von vier Frauen in einem immer noch männlich dominierten Wettbewerb. Ist das für Cannes-Verhältnisse schon eine Revolution?
Es ist die ewige Frage, wieso es zu wenig sichtbare Frauen in der Filmbranche gibt. Die heutige Zeit gewährt absolute Transparenz bei Auswahlgremien und Postenbesetzungen, und doch sind wir noch lange nicht gleichwertig vertreten. Der Zugang zu den Filmschulen ist auch für alle gleich, und doch sind Frauen unterrepräsentiert. In Frankreich mag es einen Hauch besser sein als in vielen anderen Ländern, wo die Ungleichbehandlung deutlich stärker ausgeprägt ist. Aber wir sind lange noch nicht dort, wo wir hin wollen. Das wird ein weiter Weg werden.