Wenn Schauspielerinnen Schauspielerinnen spielen, dann gibt es oftmals drängende Fragen nach der Profession an sich: So wie im Fall von Sophie Rois, die in "AEIOU – Das schnelle Alphabet der Liebe" (jetzt im Kino) von Nicolette Krebitz als 60-jährige Mimin Anna auf eine ganz sinnliche Erfahrung stößt: Dann nämlich, als der junge Mann, Adrian (Milan Herms), der ihr kürzlich die Handtasche gestohlen hat, plötzlich bei ihr im Sprechunterricht auftaucht und als Schüler von ihr lernen will. Aus dem anfangs professionellen pädagogischen Verhältnis wird allerdings schnell eine leidenschaftliche Liaison, der sich Anna völlig hingibt.

"Wiener Zeitung": Jung liebt älter, das gibt es im Kino ganz oft, aber meistens sind es ältere Männer, die junge Frauen verführen. In "AEIOU" ist das umgekehrt. Was denken Sie darüber?
Sophie Rois: Dass das Ganze recht schön anzuschauen ist. Eine ästhetische Entscheidung. Viel interessanter als der großen Altersunterschied, der - für eine Geschichte im Film erzählt - natürlich unglaublich reizvoll ist, ist das, was diese Liebe möglich macht, nämlich, dass da zwei Leute sind, die aus unterschiedlichen Gründen irgendwie draußen sind, sich nicht mit den Verhältnissen identifizieren. Sie haben einander nicht nach einem Online-Katalog auf sozialen Medien ausgesucht.

Partner-Seiten im Internet versprechen immer wieder, wie treffsicher ihre Algorithmen sein können, wenn sich zwei Menschen suchen.
Es gibt Begegnungen, die unausweichlich sind, das ist etwas völlig anderes als die Partnersuche auf dem Online-Portal. Wenn die katzenfreundlichen Nichtraucher da im Netz ihr Glück finden, dann ehrlich: herzlichen Glückwunsch! Im Film finde ich das nicht interessant.

Ist ihre Filmfigur Anna naiv, weil sie sich von der Leidenschaft mitreißen lässt?
Naiv? Narzisstisch und selbstsüchtig vielleicht, mit krimineller Ader, aber nicht naiv, im Gegenteil. Die gehört einfach nicht zur Generation Selbstoptimierung. Die hat einiges hinter sich und gar keinen Ehrgeiz, noch irgendwo mitzumachen und sich in den nächsten Fernsehkrimi einzuklagen, das gibt ihr eine gewisse Freiheit, eben die Freiheit, sich auf diese Liebe einzulassen. Regisseurin Nicolette Krebitz hat die Figur schon im Drehbuch mit einer sehr einnehmenden Arroganz ausgestattet. Die beiden schreien ja nicht in ihrem Freundeskreis: "Akzeptiert uns wie wir sind!" Die pfeifen drauf und ringen dem Leben eine Art von Schönheit ab. So geht es mir, wenn ich den Film sehe.

Die Geschichte läuft bald auf eine befreiende Situation zu, als die beiden beschließen, nach Frankreich abzuhauen.
Es geht dabei ganz stark um den Gedanken, sich ein Leben zurückzuerobern, mit einer gewissen kriminellen Heiterkeit. Wir dürfen heute Bungee-Jumpen, uns bei DSDS bewerten lassen oder eine Karriere machen, wenn wir nicht vorher im Burnout landen, und dabei haben wir immer das Gefühl, eigentlich hampeln wir irgendetwas nach, was man uns vorbetet, das angeblich ein Leben sein soll, was sich aber nie wie eines anfühlt.

In Hollywood durfte Sean Connery mit über 65 noch junge Frauen erobern, das hat man umgekehrt eher selten gesehen. Umso erfrischender ist es, dass der Altersunterschied in "AEIOU" als beinahe selbstverständlich angenommen wird.
Herr Greuling, das freut mich, dass Sie das sagen! Klingt vielleicht komisch, aber wenn ich den Film sehe, denke ich auch: Hey, ich glaub uns das! Das hat aber auch mit der Besetzung von Milan Herms zu tun, wie konnten sofort miteinander spielen, ich meine jetzt nicht schauspielen, sondern spielen wie die jungen Hunde. Das war für mich sehr überraschend, so etwas lässt sich nicht planen. Es geht aber mit diesem Film nicht darum, neue Standards zu etablieren, von wegen: das Alter spielt doch gar keine Rolle. Nein, es spielt eine Riesenrolle, 40 Jahre Altersunterschied, das ist eine ganz schöne Kluft. Es gibt bei Wolfgang Pohrt in seinem Buch über Balzac diesen wunderbaren Gedanken, dass die Liebe erst interessant wird, oder überhaupt erst Liebe ist, wenn nicht mehr der überkommene Gang der Dinge herrscht, sondern die subjektive Willkür des anmaßenden Einzelnen einsetzt. Wenn man also nicht vorlieb nimmt mit dem was sich so anbietet, dem Nachbarn, dem gleichaltrigen Bürokollegen, sondern den Fremden liebt, der das eigene Leben möglicherweise völlig auf den Kopf stellt.

Sie standen 1998 in Salzburg als Buhlschaft auf der "Jedermann"-Bühne. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Oh, da war ich völlig fehl am Platz. Ich hätte das nicht machen dürfen, ich war gar nicht handlungsfähig auf der Bühne. Das war niemandes Schuld. Nur meine, das war einfach eine Fehlentscheidung, ist aber nicht schlimm. So etwas passiert!

Aber das ist ein Eintrag in der Vita einer Schauspielerin, die für immer bleibt. So etwas adelt, oder?
Das schon, aber wenn ich meine eigene Vita schreibe, dann nehme ich das immer heraus, weil ich habe da nichts Gescheites gemacht.

In Österreich gibt es die Bestrebungen, beim Film eine 50-Prozent-Quote bei den Geschlechtern umzusetzen. Was denken Sie darüber?
Das ist eine ganz schwierige, widersprüchliche Angelegenheit. Ich hab keine eindeutige Meinung dazu. Dass es mehr Möglichkeiten für Männer als für Frauen gibt, ist nicht hinnehmbar. Eine andere Sache ist es, dass in vielen gutgemeinten Filmen, von Männern wie von Frauen, ein Frauenbild etabliert wird, das mir die Haare zu Berge stehen lässt. Sie sind von vornherein moralisch überlegen, wissen alles besser , haben immer Recht und der Mann darf der lustige, asoziale Trottel sein. Ich hab nichts davon, die starke Frau zu sein, die alles besser weiß. Nein, i c h will der asoziale Trottel sein!

Wie kann man das Problem lösen, die Ungleichbehandlung in Job und Alltag zu beseitigen?
Da hilft nur das Gesetz. Dann braucht man sich nicht mehr zu beklagen, sondern man klagt, vor Gericht. Juristische Kategorien schaffen Tatsachen, nicht moralische. Ich habe grundsätzlich gar keine Lust, mich als Frau zu beschweren. Verstehen Sie? Denn dann stehe ich wieder in der Frauen-Ecke! Ich bin auch nicht gescheiter, als diese Typen da draußen. Ich empfinde das auch als eine Zumutung, als Frau klüger sein zu müssen als die Männer, warum? Ich bin es nicht, ich bin niemandem überlegen und ich will es auch nicht sein.