Welch eine Erscheinung!
Der Begriff "schön" allein genügte nicht für Gina Lollobrigida. Sie ist mehr. Ausstrahlung. Charakter. Eleganz.
Aber als schön, vor allem schön, wird die am 4. Juli 1927 in Subiaco geborene Tochter eines Möbelherstellers, als Dreijährige schon dem zunehmend grassierenden Wahn nach US-Vorbild verkauft: "Schönstes Kleinkind Italiens" ist sie. Dass sie eine herausragende Intelligenz besitzt, offenbart sich später. Aber wen kümmert es, dass die Zweitplatzierte der "Miss Roma"- und die Drittplatzierte der "Miss Italia"-Wahlen eine ausgebildete Opernsängerin ist, dass sie Bildhauerei und Malerei am Liceo Artistico in Rom studiert hat? Schön ist sie. Das zählt vorerst. In italienischen Fotoromanen ist sie "Gina Loris".
1945 tritt sie im Teatro della Concordia von Monte Castello di Vibio, dem legendären kleinsten Theater "allitaliana" der Welt, in Eduardo Scarpettas Komödie "Santarellina" auf. Der Durchbruch?
Der Weg zum Durchbruch
Weit gefehlt. Sie arbeitet sich von ganz unten nach ganz oben. Der Filmproduzent Mario Costa entdeckt sie buchstäblich auf der Straße und engagiert sie als Statistin. Endlich bekommt sie auch mittlere und größere Rollen. Der Milliardär Howard Hughes, der auch im Filmgeschäft mitmischt, ist fasziniert von ihr und bietet ihr hohe Summen, wenn sie bei ihm unterschreibt.
Sie macht das einzig Richtige: Sie lehnt ab.
Sie weiß um ihr Aussehen. Ebenso weiß sie, dass sie mehr sein kann als der schöne weibliche Aufputz für den männlichen Hauptdarsteller. Welch glänzende Entscheidung das war, zeigt sich 1952: "Fanfan, der Husar" und "Die Schönen der Nacht" sind endlich der Durchbruch. Jetzt arbeitet sie mit Regiegrößen wie Luigi Comencini, der sie an der Seite von Vittorio de Sica in seinen Komödien "Liebe, Brot und Phantasie" (1953) und "Liebe, Brot und Eifersucht" besetzt. Comencini sieht in Gina Lollobrigida mehr als die schöne Frau: Für ihn ist sie "La Bersagliera", eine Frau, die für sich einstehen kann und weiß, was sie will. Der Neorealismus gibt sich komödiantisch, und Gina Lollobrigida ist das neue Gesicht des italienischen Films.

Gina Lollobrigida am Set von King Vidors "Salomon und die Königin von Saba" (1959).
- © afpUnd wie der Stern jetzt strahlt! In "Die schönste Frau der Welt" (1955) kann sie ihre Gesangsausbildung nützen. In "Der Glöckner von Notre Dame" (1956) spielt sie als Esmeralda an der Seite von Anthony Quinn als Quasimodo die ganze Bandbreite von Triebhaftigkeit bis intensiven Gefühlen aus. Dann ist sie die Königin von Saba an der Seite Yul Brynners ("Salomon und die Königin von Saba", 1959) – und gleich wieder eine begnadete Komödiantin in "Buona Sera, Mrs. Campbell" (1968). mit Peter Lawford, Telly Savalas und Phil Silvers.
Die Bissigkeit der Diven ist das Salz in der glamourösen Suppe. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Lollobrigida als Stachel im Fleisch ihrer jüngeren Konkurrentin Sophia Loren steckt und umgekehrt. Eine mittelmäßige Schauspielerin sei sie, ätzt Sophia Lorens Ehemann, der Filmproduzent Carlo Ponti, mit. Aber was solls, die Lollobrigida ist für die Italiener längst "La Lollo" oder gleich gar "Gina nazionale".
Fotografie und Bildhauerei
Ihr selber ist das zuwenig. 1970 schränkt sie die Schauspielerei ein, um ihre Arbeit als Fotografin zu vertiefen. Ihre Porträts von Fidel Castro, Salvador Dalí oder Henry Kissinger sind anerkannte Meisterwerke. Sie veröffentlicht in der "Vogue" Modefotografien, gibt Bildbände heraus. Obendrein engagiert sie sich für die Unicef und Ärzte ohne Grenzen.
Dann, Anfang 1985, spielt sie am New Yorker Broadway in der Wiederaufnahme von Tennessee Williams "Die tätowierte Rose" den Part, den ursprünglich Anna Magnani verkörperte. Mehr kann eine italienische Schauspielerin nicht wollen. Andere spätere Rollen? – "Love Boat" und "Falcon Crest" beschädigen keine Gina nazionale, und in "La romana" von Giuseppe Patroni Griffi ist sie als Mutter einer Prostituierten so überzeugend wie eh und je.
Windzerzaustes Privatleben
Das Privatleben - windzerzaust: Aus der 1949 geschlossenen, später gescheiterten Ehe mit dem jugoslawischen Arzt Milko Skofic geht der Sohn Andrea Milko Jr. hervor. Mit ihm zerstreitet sie sich. Er erwirkt einen höchstgerichtlichen Entscheid, dass seiner Mutter wegen deren Geisteszustand ein Finanzvormund vorgesetzt wird. Eine zentrale Person in der Argumentation von Lollobrigidas Sohn ist Andrea Piazzola, ein Mann von Anfang 30, dem vorgeworfen wird, Gina Lollobrigida manipuliert zu haben. Piazzola war mehrere Jahre lang Assistent der Schauspielerin. Er wurde wegen Übervorteilung einer unzurechnungsfähigen Person verdächtigt. Von 2013 bis 2018 soll er der Diva einen Teil ihres Vermögens gestohlen haben. Der Prozess gegen den Mann ist in Rom noch im Gange.

Gina Lollobrigida mit einigen ihrer Skulpturen, die sie 2003 im Pariser Hôtel de la Monnaie zeigte.
- © apa / afp / Jack GuezAuch gegen einen anderen Lebensgefährten der Diva, Javier Rigau Rifols, wurde wegen Betrugsvorwürfen ermittelt. Von Ehebetrug war die Rede: Der 34 Jahre jüngere Spanier soll bei der Eheschließung in Spanien eine Komplizin vorgeschoben haben, die sich als Gina Lollobrigida ausgab. Erst später soll Gina Lollobrigida aus den Medien erfahren haben, dass sie "verheiratet" ist.
Gina Lollobrigida erzählt das im italienischen Fernsehen. Die Zuschauer lieben ja die skurrilen Geschichten der Stars - zumal, wenn sie mit dieser Virtuosität dargereicht werden.
Der Kreis schließt sich
Sie ist eben auch im Alter noch eine große Schauspielerin, diese Gina Lollobrigida - aber interessiert sie die Schauspielerei überhaupt noch? – Ab 1990 nimmt sie wieder Unterricht in Bildhauerei, jetzt beim italienischen Bildhauer Giacomo Manzù. Und sie stellt aus, 1992 auf der Weltausstellung in Sevilla etwa. Schließlich nimmt die Kunstakademie von Florenz sie als Mitglied auf. Der Kreis zu den Anfängen der Gina Lollobrigida schließt sich. Fast scheint es, die Schauspielerei sei nur ein – freilich wunderbares, ein glorreiches, ein beglückendes – Intermezzo gewesen, weil Gina nazionale auch die anderen großen Künste ihrer Nation verkörperte: Den Gesang, die Malerei, die Bildhauerei.
Am 16. Jänner ist Gina Lollobrigida in Rom gestorben. So trägt man die Idole der Jugend zu Grabe – auch die, die lange über die Jugend hinaus Idole geblieben sind.