Zwei 13-jährige Buben, die inniger nicht sein könnten: Weil Leo (Eden Dambrine) und Remi (Gustav De Waele) ihre juvenile Freundschaft in sehr großer Nähe ausleben, geraten sie in ihrer Schule unter Verdacht; homophobe Ideen geistern durch den Schulhof, was den beiden Burschen gar nicht gefällt. Sie beginnen, einander zu meiden. Was für einen der beiden Kinder letztlich fatale Konsequenzen hat.
Der Belgier Lukas Dhont ("Girl") erzählt in seinem zweiten Spielfilm von einer Identitätsfindung und einer Bubenfreundschaft, und das gelingt ihm so gut, dass er dafür im Vorjahr nicht nur den Preis der Jury in Cannes erhalten hat, sondern nun auch im Rennen um den Oscar als bester internationaler Film hoffen darf. "Close" startet diese Woche im Kino, die "Wiener Zeitung" traf Dhont beim Zürich Film Festival zum Gespräch.

"Wiener Zeitung": Wie kamen Sie auf die Idee, die Geschichte einer so intensiven Bubenfreundschaft zu erzählen?
Lukas Dhont: Ich war auf eine amerikanische Studie gestoßen, für die 150 Burschen zwischen 13 und 18 befragt wurden. Sie wurden gebeten, über ihre Freunde zu sprechen, und es ist wirklich schön, denn gerade die jüngeren sprechen darüber, als wären es Liebesgeschichten, sie erzählen, wie wichtig ihnen ihre Freunde sind. Wie viel sie mit ihnen teilen. Sie wirkten dabei sehr zerbrechlich und zart. Und dann, im Alter von 16, 17 Jahren, stellt man ihnen wieder dieselben Fragen, und es gibt diese Tendenz, dass sie sich voneinander distanzieren. Diese emotionale Sprache, die Liebe, die sie miteinander geteilt haben, ist in diesem Alter verflogen. Das zeigt mir, dass es vielleicht allgemeiner darum geht, wie wir Männlichkeit betrachten und was es bedeutet, ein junger Mann in der heutigen Gesellschaft zu sein. Was sind die Eigenschaften und Merkmale, die wir mit dem Mannsein verbinden? Es ist wahr, dass wir Unabhängigkeit damit verbinden. Emotional stoisch zu sein. Stark und beschützend zu sein, das sind alles Dinge, die wir stereotypisch damit verbinden. Wenn wir diesen Buben zuhören, haben wir das Gefühl, dass so viel Zärtlichkeit, Zerbrechlichkeit und Verbundenheit auf dem Weg verloren geht. Deshalb war es mir wichtig, über männliche Freundschaft zu erzählen.
Was ist Ihrer Meinung nach der Hauptgrund dafür, dass sie die Fähigkeit verlieren, über Gefühle zu sprechen, und das just in diesem Lebensabschnitt?
Weil die Gesellschaft es ihnen beibringt. Weil die Gesellschaft diese Codes für männliches Verhalten hat, das mehr auf sich selbst bezogen ist und weniger emotional. Ich glaube, es liegt daran, dass wir ihnen beibringen, sich von jeder Nähe zu distanzieren. Die Welt wird wettbewerbsorientierter und junge Menschen lernen, unabhängiger zu sein und sich von der inneren Gefühlswelt abzuschotten, weil sie in unserer Gesellschaft als schwach angesehen wird. Natürlich gibt es junge Menschen, die sich der Welle dieser Codes widersetzen, aber ich denke, dass es für viele ein großer Druck ist, mit dem sie leben.
Die Freundschaft der Buben endet unter dem Druck ihres Umfelds. Wie haben Sie dramaturgisch an diesem Umstand gearbeitet?
Im ersten Teil des Films geht es wirklich um die Kindheit, denn was diese Kinder miteinander teilen, ist sehr rein und sehr unschuldig, und dann gehen sie zusammen auf eine neue Schule, und da gibt es wirklich einen Bruch, das ist der Wendepunkt. Was beim Schreiben dieses Films wichtig war, ist, dass man im ersten Teil wirklich Zeit mit diesen Freunden verbringt, mit dieser Kinderfreundschaft, in der diese Buben alles miteinander teilen. Sie rennen zwischen Blumenfeldern umher, sie trösten sich gegenseitig, sie bewundern sich, und dann der Zusammenprall mit der weiterführenden Schule. Eigentlich ist der Schulhof ein bisschen die erste Darstellung einer größeren Gesellschaft, denn es ist der erste Moment, in dem man mit Gruppen, mit Unterschieden, mit Etiketten konfrontiert wird. Es ist ein Film, der den Übergang von der Kindheit zeigt.
Würden Sie sagen, "Close" ist in gewisser Weise die Fortsetzung zu Ihrem Erstlingsfilm "Girl", in dem es um ein Transgender-Mädchen ging?
Ich würde sagen, dass es natürlich Themen gibt, an denen ich interessiert bin. Identität ist ein zentrales Thema, und in beiden Filmen sind die Figuren jung und erleben Dinge oder Konfrontationen zum ersten Mal. Aber auf der anderen Seite sind es für mich sehr unterschiedliche Filme. Wenn es in "Girl" mehr um die Beziehung zum Körper, um Weiblichkeit, um dieses Ideal geht, dann würde ich sagen, dass sich "Close" mehr um Verhaltensmuster dreht. Beide Filme sind durch ihre Filmsprache miteinander verbunden, es geht um Choreografie. Auch wenn es in "Girl" eine buchstäbliche Choreografie vor der gab und in "Close" eher die Bewegung der Kamera gemeint ist.
Warum interessieren Sie sich speziell für Jugendliche, für das Erwachsenwerden?
Ich war ein junger Mensch, der immer das Gefühl hatte, als ob ich nicht wirklich zu der Gruppe der Buben gehörte und auch nicht zu der Gruppe der Mädchen. Wenn man jung ist, erlebt man zum ersten Mal diesen Wunsch, zu einer Gruppe zu gehören. Ich fand diese Zugehörigkeit, wenn ich ins Kino ging und dort Figuren auf der Leinwand sah, mit denen ich mich verbinden konnte, und das hat mir in vielerlei Hinsicht geholfen, Antworten zu finden.