Man stelle sich vor, man hat einen Nachbarn, der gleich einmal die Langwaffe holt, weil man die Gänseblümchen in seinem Vorgarten angeschaut hat. Der aus einem rassistischen und sexistischen Beschimpfungsrepertoire nur die fiesesten Gustostückerln über den Zaun haut. Also insgesamt mehr so der Kategorie "Ganz hoffnungslose Fälle bei ,Schauplatz Gericht‘ im ORF" angehört. So jemanden mag man normalerweise nicht besonders. Man würde dem so gut wie möglich aus dem Weg gehen und man würde den unter gar keinen Umständen unterhaltsam finden.

Es ist eines der größten Mysterien der Erzählkunst: Dass man in einem Roman oder in einem Film einen solchen Menschen charmant findet. Und - völlig unverständlich - sogar mit ihm mitleidet und mitfiebert. Im konkreten Fall ist es Walt Kowalski im Film "Gran Torino" (2008). Er ist einer der vielen Griesgrame, die Clint Eastwood in seiner Karriere gespielt hat. Und er ist wohl der anrührendste: Der Korea-Veteran, der nach dem Tod seiner Frau nur mehr sein Auto (eben einen Gran Torino) zum Liebhaben hat, wird unabsichtlich und innerlich natürlich reichlich unfreiwillig zum Beschützer seiner erst verhassten asiatischen Nachbarsfamilie und da vor allem des jungen Sohnes. Da ist ja doch ein Herz in diesem Grantler mit Waffenschrank, der in einer anderen Realität sicherlich Trump-Wähler, womöglich gar Kapitolstürmer (geworden) wäre.

In Kürze kommt nun ein Film ins Kino, der einen neuen Namen zur Liste der Kinograntler hinzufügt. Der Name ist Otto und fast so heißt der Film auch: "Ein Mann namens Otto" ist die Hollywoodvariante der schwedischen Bestellerverfilmung "Ein Mann namens Ove", die Titelfigur spielt Tom Hanks. Otto kommt zwar nicht gleich mit dem Gewehr um die Ecke, aber er ist auch kein Freund seiner Nachbarn. Die sind einfach nervig. Jünger, agiler, freundlicher. Lauter. Und halten sich nicht an Mülltonnenregeln. Nervig halt.

Katzen, nur keine Menschen

Auch hier wird eine Familie - diesmal mit zwei frechen Töchtern - für eine Erweichung des Steinherzens sorgen. Und nicht zuletzt eine Katze. So ist es nämlich meistens bei den großen Film-Griesgramen: Im Idealfall kreuzt irgendein genauso verhaltensauffälliges Tier die Wege des Misanthropen und plötzlich sieht die Welt ganz anders aus. Das war schon bei Jack Nicholson in "Besser geht’s nicht" (1997) nicht anders. Der spielte den wunderlichen, extrem gemeinen Melvin, der Trailer zum Film lud schon wörtlich dazu ein, ein "wirklich entsetzliches Individuum" kennenzulernen. Ein Schriftsteller mit Zwangsneurose, der auf die Hymne eines Fans antwortet, wieso er so gut über Frauen schreiben könne: "Ich stelle mir einen Mann vor und subtrahiere Verstand und Zurechnungsfähigkeit." Und das ist noch einer der freundlichen Sprüche von Melvin. Seine Wandlung zum ein bisschen netteren Menschen beginnt auch damit, dass er den Hund seines Nachbarn sitten muss. Denselben Hund, den er zuvor einmal in den Müllschlucker gesteckt hat.

In sehr seltenen Fällen kann auch eine Maschine den Menschenfeind bekehren - klingt logischer, als es sollte. Das passiert im sehr lustigen Film "Robot & Frank" (2012), in dem ein Grantscherm den Roboter, der ihm als Senilitätskontrolleur zur Seite gestellt wird, kurzerhand zum Komplizen für einen Juwelendiebstahl macht, woraus sich eine ganz analoge Freundschaft mit dem sprechenden Computer entwickelt.

Gut, vielleicht noch Kinder

Aber meistens gilt: Hunde, Katzen oder Kinder sind die größten Gefahren für den Antihelden, wenn er unsympathisch bleiben will. Im Pixar-Animationsfilm "Oben" zum Beispiel taut der grummelige alte Herr Carl auf, weil ein sehr hartnäckiger junger Bursche seine Leidenschaft für das Erforschen von neuen Welten teilt. Das er zuvor mit seiner Frau Ellie geteilt hat. Und wegen Ellie ist Carl überhaupt erst grummelig: Denn seine Ehefrau und Seelenverwandte ist gestorben. Nicht nur bei Carl steckt hinter dem Grant eine tiefe Traurigkeit, auch beim eingangs erwähnten Walt und bei Otto ebenso.

Das kann wiederum Larry David nicht als Entschuldigung vorweisen. Der Comedy-Autor hebt das Prinzip Griesgram in der fake-autobiografischen Serie "Curb Your Enthusiasm" ("Lass es, Larry") auf eine muntere Metaebene. Die ihm selbst nachempfundene Kunstfigur ist weniger ein Menschenhasser als viel eher ein Menschenskeptiker. Diese Einstellung und seine unerschütterliche Selbstzentriertheit sorgen für Fettnäpfchen ohne Ende und auch viel schlechte Laune bei Larry.

Es gibt zwar keine Grantler-Genderparität, aber "Paulette" rettet die Ehre der fiesen Frauen. In dem französischen Film geht es um eine alte Dame, die ihre Unverschämtheiten ganz gerecht über Fremde, ihre Familie (vor allem ihren schwarzen Enkel) und ihre Freunde verteilt (wer sich im Seniorenkartenclub nicht sehr beeilt beim Ausgeben, kriegt schon mal ein augenverdrehtes "Alzheimer!" entgegengeschleudert). Als sich Paulette aus Geldnot dem Drogenhandel zuwendet, darf dann auch der Enkel mithelfen.

Eher noch nach dem Molière’schen Misanthropen-Prinzip - der Verweigerung des Angepassten und Diplomatischen - ist Maggie Smith in "The Lady in the Van" zu verstehen. Die blafft aus dem Lieferwagen, in dem sie lebt, durchaus auch mal wohlmeinende Menschen an, die ihr ein Weihnachtsgeschenk überreichen. Sie ist aber halt auch Künstlerin. Die dürfen das.

Ahnherr der Mürrischen

Apropos Weihnachten: Vorbild der meisten Miesepeter ist keineswegs Molière, und auch nicht der Raimund’sche Rappelkopf, das große Idol der angelsächsischen schlechten Laune hat Charles Dickens erfunden: Ebeneezer Scrooge aus "Christmas Carol" ist unverkennbar Ahnherr aller durch ihre Geschichte verhärmten Unwirschen.

Mancher hat mehr Griesgräme gespielt als andere: Clint Eastwood, Jack Nicholson, Bill Murray (siehe "St. Vincent") hatten da mitunter eine Art Abo darauf. Keiner aber verkörperte ihn schon rein optisch so sehr wie Walter Matthau. Jeder einzelnen Knautschfalte in seinem Gesicht war rechtschaffene Zwiderwurzigkeit eingeschrieben. Das geht übrigens auch österreichisch, und zwar noch viel früher: Hans Moser mit guter Laune, das wäre mal eine Filmsensation gewesen. Aber wer will denn so etwas sehen.