Wochenlang war darüber spekuliert worden, ob es Marie Kreutzers Film "Corsage" bis zu einer Oscar-Nominierung schafft, was angesichts der starken Konkurrenz in der Kategorie "Bester internationaler Film" für Fachleute ohnedies eine Überraschung gewesen wäre. Dennoch finden die Oscars heuer nicht ohne österreichische Beteiligung statt: Mit Monika Willi ist nämlich Österreichs wohl bekannteste Schnittmeisterin für eine Goldstatue nominiert, und zwar für den besten Schnitt am Film "Tár" von Regisseur Todd Field. Darin spielt Cate Blanchett eine Dirigentin, sie ist ebenfalls oscarnominiert, genau wie Regisseur Field. Insgesamt sechs Chancen auf einen Oscar hat der Film, der vergangenen Herbst beim Filmfestival von Venedig uraufgeführt wurde.
"Ich bin völlig sprachlos", reagierte Monika Willi auf die Nominierung. "Ich habe damit überhaupt nicht gerechnet". Die 54-jährige Innsbruckerin war bisher für ihre Arbeiten mit Michael Haneke bekannt, dessen Filme sie seit "Die Klavierspielerin" (2001) allesamt geschnitten hat. Aber auch Barbara Albert ("Nordrand", "Böse Zellen"), Ulrich Seidl ("Rimini"), Josef Hader ("Wilde Maus") oder Michael Glawogger ("Workingmans Death") arbeiteten mit Willi zusammen. Nach Glawoggers Tod 2014 vollendete Willi dessen unfertiges Projekt "Untitled" als Schnittmeisterin und Co-Regisseurin.
Ein Film entsteht erst im Schneideraum
Im Fall von "Tár" wäre die Arbeit ganz ähnlich konzentriert gewesen, wie sie auch mit Michael Haneke sei: "Regisseur Todd Field war im ganzen Schnittprozess dabei, es stellte sehr genaue Bilder zur Verfügung", so Willi. Da sei immer von Vorteil, wenn das Material bereits eine Struktur aufweise. Für Willi gibt es bei der Schnittarbeit durchaus große Unterschiede, nicht immer kann man sich als Schnittmeisterin allzu kreativ einbringen. "Der Film wird grundsätzlich im Schneideraum gestaltet", sagt Willi. "Bei den meisten fiktionalen Filmen gibt es im Schneideraum alle Möglichkeiten, weil der Regisseur alle möglichen Perspektiven gedreht hat. Jemand wie Michael Haneke tut das hingegen nicht, denn er hat nur genau das gedreht, was er sich vorstellt. Nicht mehr und nicht weniger. Dann gibt es viele Filme, die ihre dramaturgische Arbeit in den Schneideraum verlegen. Beim Dokumentarfilm ist es sowieso der Fall, dass der Schnitt sehr viel mit der dramaturgischen Arbeit und der Erzählstruktur zu tun hat."
Willi beschreibt ihre Arbeitsweise als intuitiv. "Ich bespreche nicht lange, was ich vorhabe, auch nicht mit mir selbst, sondern ich beginne einfach mit der Umsetzung. Insofern ist das intuitiv. Es gibt solche und solche Editoren, genau wie bei Autoren: Manche Schriftsteller entwerfen ihre Romane sehr genau, andere sagen, ihre Figuren hätten sie durch den Schreibprozess geführt und gliedern gar nicht", so Willi. "Es gibt Kollegen, die das Schneiden mit dem Schreiben vergleichen, aber ich weiß zumindest nach Untitled, dass das nicht ganz richtig ist. Denn wir sitzen nicht vor einem weißen Blatt Papier, wenn wir die Arbeit beginnen, sondern wir bekommen schon ganze Sätze und halbe Kapitel vorgelegt."
Cutterin als Seelsorgerin für verzagte Regisseure
Willi räumt auch ein, dass der Schneideraum nicht zuletzt ein Zufluchtsort für Regisseure ist, die sich hier der Schnittmeisterin völlig anvertrauen. "Der Schneideraum ist ein sehr schutzbedürftiger Ort und er braucht auch dieses Vertrauen. Es ist der Ort, wohin die Regie kommt, auch mit allem Schmerz über das Nicht-Geglückte. Das muss man alles zulassen und darf kein Held sein. Oft sind die, die nach außen sehr stark wirken, ganz schwach, wenn sie damit konfrontiert werden, was Sache ist. Insofern ist es Teil des Berufs, damit sehr, sehr sorgsam umzugehen."
Im Fall von "Tár" scheint Willis Arbeit einmal mehr eindrucksvoll geklappt zu haben, wie nun die Oscar-Nominierung beweist. Und Österreichs Filmszene hat doch noch einen Grund, bei der Verleihung am 12. März ganz fest die Daumen für eines ihrer Mitglieder zu drücken.