Unkundigen wird Igor Levit meist mit einer Variante des folgenden Satzes angepriesen: Es sei dies ein Pianist, der sich vom, ähem, gediegenen Ambiente des Klassikbetriebs wohltuend abhebe. Levit trägt ungern Anzug, er spricht sein Publikum mit "meine Lieben" an, er fährt Rad. Und: Er twittert häufig und gern auch politisch, in diesem Themenfeld stets pro Grün und geharnischt gegen rechts. Damit ist er zum Lieblingspianisten von Twitter, dem Netzwerk der Empörungslustigen, aber auch Fraternisierungsfreudigen, aufgestiegen. Zudem hat sich Levits Zugkraft in Deutschland noch massiv erhöht, als er während des erstens Lockdowns Hauskonzerte veranstaltet und virtuell übertragen hat. Ganze 340.000 Menschen waren laut Levit beim ersten Termin digital dabei, Tausende sind ihm bis zum 52. Auftritt treu geblieben: ein Bombenerfolg.
Es erstaunt angesichts solcher Zahlen nicht, dass sich bald auch andere Medien für Levit zu interessieren begannen. Etwa der Buchmarkt, der rasch Nägel mit Köpfen machte: Der Journalist Florian Zinnecker hat 2021 gemeinsam mit Levit den Band "Hauskonzert" (Hanser) vorgelegt. Zinnecker habe die Saison 2019/20, eine "Zeit der Extreme", im Schlepptau des Stars verbracht, heißt es seitens des Verlags.
Damals scheint überhaupt ein ganzer Tross Levit gefolgt zu sein. Immerhin muss man da auch Regisseurin Regina Schilling nennen und ihr Team, die zwei Jahre an Levits Fersen klebten. Nun ist ihre Arbeit "Igor Levit - No Fear" in die Kinos gekommen.
Der Film verzichtet auf Hochglanz und Spektakel. Sieht man von kurzen Interviews mit Levit ab, sind die zwei Stunden vor allem mit Dokumentaraufnahmen vollgeräumt. Man erlebt Levit, wie ihm zwei schnaufende Männer einen Flügel in die Wohnung tragen. Wie er twittert. Und vor allem: Wie er immer wieder leidet. Etwa, wenn er bei der Arbeit mit seinem Tonmeister (Psychologe, Kritiker und Soundexperte in einem: Andreas Neubronner) danebenhaut und Kraftausdrücke brüllt. Wenn er mit einer Aufnahme endlich fertig ist und sich wie tot auf den Boden wirft. Oder wenn er an die 108 Konzerte denkt, die er - wir schreiben den Jänner 2020 - bis Dezember vor sich zu haben glaubt. Ehrlich gesagt: Diese Lamenti nerven. Man muss Levit schon sehr verehren, um ihm nicht hier und da eine Selbstbesessenheit von religiösem Ernst zu attestieren und die erste Filmhälfte nicht zäh zu nennen.
Aber dann kommt Corona und ein wenig Bewegung in den Film. Die Termine fallen, die Branche seufzt, Levit umarmt Marina Abramović in einer großen Trotzdem-Gesten - und erreicht dann mit seinen Hauskonzerten tausende Herzen. Die Terminreihe verleiht ihm schließlich auch seelischen Auftrieb. Als er im Juni wieder vor Publikum steht, spürt er eine "totale Unabhängigkeit" durch die Hauskonzerte und "null Leistungsdruck". Das wäre ein nettes Ende für den Film geworden. Doch der hört erst auf, wenn Levit im Wald für Aktivisten Klavier spielt. Ein plakativer Schlussakkord, doch in seiner Beflissenheit bezeichnend für Levit.