Der Film "Die Aussprache" heißt im Original "Women Talking", und das ist fraglos treffender. Denn genau das ist in diesem Film zu sehen. Und sonst nicht viel mehr. Wenn man nur betrachtet, was man sieht. Denn natürlich geht es in "Women Talking" um sehr viel mehr, tatsächlich ist der Film eine überraschend spannende Metapher auf die Mechanismen von sexuellem Missbrauch beziehungsweise der Unterdrückung der Frau an sich.
Der Film basiert auf einem Roman, der seinerseits auf einer wahren Geschichte basiert. In einer Mennonitengemeinde in Bolivien wurden zwischen 2005 und 2009 100 Frauen immer wieder nachts vergewaltigt, nachdem alle Hausbewohner mit Tiernarkotika betäubt worden waren. Das jüngste Opfer war drei Jahre alt, das älteste 65. In der Früh wachten die Frauen und Mädchen ohne Erinnerung, aber mit Verletzungen auf. Geglaubt wurde den Opfern in der weltabgewandten konservativen Gesellschaft nicht - "weibliche Einbildungskraft" oder "Satan" wurden als Übeltäter identifiziert. Als die Täter in flagranti erwischt wurden, wurden sie der Polizei übergeben.
Und hier setzt der Film ein. Den Frauen wird vom Ältesten auf den Weg gegeben, dass sie entweder ihren Vergewaltigern verzeihen müssen oder die Gemeinde verlassen - denn ohne Vergebung ist ihnen das Himmelreich verschlossen. Zwei Tage haben sie Zeit, sich zu entscheiden - bis die Männer auf Kaution entlassen werden. In einem Heuschober wird erst abgestimmt über drei Optionen: Bleiben und nichts tun, bleiben und kämpfen oder die Gemeinde verlassen. Der Wahlzettel muss von einer der Frauen gezeichnet werden, denn schreiben und lesen können sie alle nicht - das ist ihnen ja nicht erlaubt. Das zeigt schon, dass die Option "weggehen", die für die Zuseherin (Männer mitgemeint) eigentlich die einzige ist, mit größeren Schwierigkeiten befrachtet ist.
Zeitlose Problematik
In Sarah Polleys Film ist so gut wie nicht zu erkennen, in welcher Zeit die Handlung geschieht, die Frauen tragen altmodische selbstgenähte Kleider, es gibt keine Autos zur zeitlichen Orientierung, nur anhand mitunter modern wirkender Funktionssandalen kann man einen Tipp wagen. Das passt zu dieser Welt, die den Fortschritt, ob technisch oder gesellschaftlich, ausschließt. Und es macht es möglich, die Problematik dieser Frauen auf eine Metaebene der Allgemeingültigkeit zu heben. Weil hier die verschiedensten Facetten, die Frauen in ihrer Geschichte der Unterdrückung erlebt haben, im Schnelldurchlauf aufgefächert werden. Das Sich-aus-Angst-doch-wieder-Unterordnen, die Frustration darüber, dass es keine Bestrafung für die Täter geben wird, das Unverständnis von jenen, die die Übergriffe "besser wegstecken" gegenüber jenen, die das eben nicht können. Die verzweifelnd aufbrausende Salome (Claire Foy) und die schmerzlich ruhig argumentierende Ona (Rooney Mara) stehen einander exemplarisch gegenüber, aber auch Sheila McCarthy als Greta mit ihren Pferdebeispielen ist eine Erwähnung wert in dieser beeindruckenden Ensembleleistung. Und am Ende steht die Frage, ob Vergebung mit Erlaubnis gleichzusetzen ist. Was Jesus dazu sagt? Zumindest darauf gäbe es eine trocken-pragmatische Antwort: Der wird wohl einen Haufen Frauen auch finden, wenn sie nicht mehr in dieser gewalttätigen Kolonie leben.