Es dauert noch ein paar Minuten, aber Sie können die Projektoren in der Zwischenzeit schon streicheln", sagt ein Mitarbeiter des Londoner Cinema Museums beim Eingang schmunzelnd, während er auf alte Filmprojektoren zeigt: wahrhaft heftige Maschinen, für eingetragene Kinofreaks aber wohl so putzig wie ein Schoßhündchen. Dieser Ort ist eine dezidierte Gegenansage zu den kommerziellen Blockbuster-Kettenkinos. Das Museum wurde 1986 von Ronald Grant und Martin Humphries gegründet: Sie waren damals entsetzt, wie viele alte Lichtspieltheater abgerissen und für gigantische Schiachbauten plattgemacht wurden. Zahlreiche Schmuckstücke, die eigentlich unter Denkmalschutz hätten stehen müssen, gingen dabei verloren; das Inventar landete am Schuttplatz. Nun thront also ein riesiger Schriftzug vom Granada Theatre an einer Museumswand, und Martin Humphries seufzt: "Wo das Kino früher war, steht heute ein Supermarkt."

Doch er und Ronald Grant taten, was sie konnten. Die beiden waren zu gerissen, um lange herumzujammern: "Wir gingen direkt zu den Abbruchkinos, gaben den Arbeitern ihr Biergeld, und dafür konnten wir uns aus den Kinotempeln holen, was wir wollten", lacht Humphries noch heute. Den Hacklern wurde Arbeit erspart, und die beiden retteten so fünf Jahre lang unwiederbringbare Kostbarkeiten: Art-déco-Kinosesseln, handbemalte Anzeigetafeln, vergoldete Kinouniformen, wertvolle Memorabilia der Stars von gestern, aber auch so Beiläufiges wie Aschenbecher, Popcorn-Schachteln, eine Million Fotos und fünf Millionen Meter Film.

Alles voll analog im Kino wie damals - auch die Anzeigen im Projektionsraum. - © Charlotte Maconochie
Alles voll analog im Kino wie damals - auch die Anzeigen im Projektionsraum. - © Charlotte Maconochie

Viele Sammlungsstücke wurden zugleich auf herkömmliche Weise akquiriert, und oft kommen nach wie vor Filmexperten zu ihnen, um dem Museum ihre Schätze zu vermachen. In den Gängen stapeln sich gefüllte Umzugskisten und Aktenordner mit Filmpostern, Bildern und Zeitungsausschnitten, die erst systematisch archiviert werden müssen. Eine Sisyphusarbeit für die Kinonarren: allesamt freiwillige Kräfte, die die Geschichte der Lichtspieltheater ab den 1890ern am Leben halten.

Charlie Chaplins Armenhaus

Seit 1998 hat das Museum sein Zuhause in einem ehemaligen Armenhaus südlich der Themse, in das Charlie Chaplin 1896 als Siebenjähriger mit Halbbruder und Mama aus reiner Not eingezogen war. "Man weiß extrem viel über Chaplins Leben, aber nach wie vor wird über seine wahren Hintergründe spekuliert", so Humphries: "Es gibt Indizien für einen Roma-Background, aber nichts Genaues weiß man nicht. Hier auf jeden Fall blieb niemand länger als nötig." Das Asyl beherbergte damals 1.400 Bedürftige unter unwürdigen Wohnverhältnissen, einen halben Schritt vor der Obdachlosigkeit - Chaplins Ausstieg bzw. Aufstieg zum Weltstar ist umso erstaunlicher. Bereits mit neun Jahren erhielt er seine ersten Schauspielverträge, "und der Rest ist Geschichte", so Humphries.

Oben, in der Kapelle des ehemaligen Armenhauses, ist es mittlerweile gemütlich wie in einem riesigen Wohnzimmer: eine Teeküche mit Tischlein zwischen unzähligen Sammlerstücken und einer Leiwand samt Klavier zur Stummfilmbegleitung. Dazu noch eine umfangreiche Bibliothek über die Filmlandschaft, ihre Randzonen und darüber hinaus: von Marilyn Monroe geht es über Jacques Tati zu Antonin Artaud. Für etwas Kleingeld kann man Duplikate aus der Büchersammlung mitnehmen, der Reingewinn dient dem Erhalt des Museums - das sich in einer durchaus prekären Situation befindet: Nach jahrelangem Kampf ist es dem Cinema Museum zumindest gelungen, das Recht auf den Erwerb des Gebäudes zu erhalten. Der Kaufpreis: eine Million Pfund. Die müssen zusammenkommen, sonst schließt sich der Vorhang für immer.

Das Museum bringt zudem eigene Bücher heraus, die auf der hauseigenen Sammlung beruhen: etwa über jene Uniformen, die Kinomitarbeiter früher trugen. "Jedes Kino hatte seine eigene Uniform, auch, um den Angestellten mehr Selbstvertrauen und eine gewisse Autorität zu verleihen, wenn sie die Zuschauer kontrollieren oder zurechtweisen mussten", so Humphries. Bei speziellen Events werden die historischen Kluften hier noch immer angezogen und dazu Projektoren mit alten Filmrollen bespielt, bei denen es verschiedene Klassifikationen gibt: "U" stand für "Universal", "A" für "Adult" - und "H" für "Horrific". "Das wurde etabliert, nachdem Dracula und Frankenstein für Horror im Kino gesorgt hatten", sagt Humphries.

Auch Spezialistengruppen wie die 1966 gegründete Gothique Film Society haben hier ein Zuhause gefunden und zeigen regelmäßig besondere Schmankerl im Museum: Etwa den lange verschollenen Horror-Stummfilm "Go and Get it" (1920), den die Film-Aficionados in den Archiven der Cineteca in Mailand aufgetrieben haben und der nun in Begleitung eines Live-Pianisten gezeigt wird. Worum es in dem raren Streifen geht? Eine mysteriöse Mordserie, ausgeführt von einem Gorilla, dem das Hirn eines Kriminellen eingepflanzt wurde.

Kino wie früher

"Als noch nicht jeder einen Fernseher zu Hause hatte, bestand eine typische Kinovorführung aus verschiedenen Teilen", so Humphries: "Zuerst kamen Trailer, dann die Nachrichten, der Vorfilm, gefolgt vom Hauptfilm." Und dieses Programm wurde den ganzen Tag nonstop im Rad gespielt. Die meisten Leute kamen also nicht zu einer bestimmten Zeit ins Kino, sondern wenn sie gerade Zeit hatten. Sollten sie die ersten 20 Minuten vom Hauptfilm versäumt haben, blieben sie einfach sitzen und schauten sich den Anfang vom Film bei der nächsten Runde an.

Humphries ist ein Kenner seines Faches, auch die alten, gusseisernen Vorführgeräte kann er noch bedienen: "Das hier sind 35mm-Projektoren aus den 1930ern", sagt er: "Vor dem Wechsel der Filmrolle erscheint rechts oben auf der Leinwand ein kleiner Punkt: Der erste signalisiert dem Vorführer, er soll sich bereit machen, den Film zu wechseln. Der zweite, jetzt sofort. Es war schon im Vorhinein so konzipiert, dass der Filmwechsel zwischen zwei Szenen stattfand und nicht während einer. Denn selbst wenn man den Wechsel innerhalb einer Szene zeitlich hinkriegen sollte: Womöglich hat ein Projektor eine andere Schärfe oder Beleuchtung - das würde man sofort sehen."

Technische Entwicklungen werden im Museum Schritt für Schritt dokumentiert, etwa das "Vivaphone" aus den 1920ern, zwischen Stumm- und Tonfilm: ein Schallplattenspieler, der direkt mit dem Projektor synchronisiert war und zum Film Musik oder begleitende Worte abspielte. "Die Schallplatte wurde dabei von innen nach außen gespielt, nicht wie sonst üblich von außen nach innen", so Humphries. Von der Seite mischt sich Museumspartner Ronald Grant ein und erzählt von seinen praktischen Erfahrungen als Filmvorführer aus einer anderen Zeit: "Manchmal blieben diese Platten hängen", lacht er: "And then: what you got... is what you got... is what you got...", macht er eine hängende Platte nach. Es klingt fast so, als würde sich der Veteran tatsächlich noch daran erinnern, wie es war, vor hundert Jahren Filme vorzuführen.

Mit Rauch oder ohne

Seinerzeit standen in einem Vorführkabäuschen drei Projektoren, ein Meister, ein Geselle, ein Lehrling - und hochbrennbare Filmrollen. Ob in den Kämmerchen trotzdem geraucht wurde, kann vielleicht die eigene Phantasie beantworten. "Ich erinnere mich auf jeden Fall noch sehr gut ans Rauchen im Kinosaal", nickt Humphries: "Das wird heute romantisiert, aber in Wirklichkeit ist man damals in einem riesigen Aschenbecher gesessen." Die Kinos mussten regelmäßig ausgeräuchert und desinfiziert werden, und auch die Leinwand selbst wurde mindestens einmal im Jahr gründlich gereinigt, weil sich dort ein dezenter Gelbstich festsetzte.

Mit Rauch oder ohne: Eine typische Filmrolle hatte nach 20 Minuten gewechselt zu werden. "Und versäumten die Filmvorführer den Anschluss, stampfte das Publikum", sagt Humphries. "Die Ausbildung zum Filmvorführer dauerte früher fünf Jahre. Heute, digital, einen Tag." Es war eine riesige Berufsgruppe, die bei diesem Wechsel verloren ging - und noch vor ihnen jene der musikalischen Stummfilmbegleiter.

Dass sich freiwillige Kräfte für solch Wissensvermittlung und die Rettung historischer Kostbarkeiten einsetzen müssen, während ihnen nicht einmal die Steine aus dem Weg geräumt werden, gleicht einer Farce. Bleibt nur zu hoffen, dass eine Million Pfund zusammenkommen, um den Weiterbestand dieser Schatzkammer zu sichern.