Das Motto stand für Erika und Ulrich Gregor schon fest, als sie noch jung verheiratet waren: "Ein Leben ohne Kino ist möglich, aber sinnlos." Diese Überlegung brachte die Gregors dazu, ab 1957 in aller Welt herumzureisen, um Filme aufzuspüren, die sie dann in ihrem Berliner Kino spielten und den Deutschen damit beibrachten, was Film und Kino eigentlich bedeuteten. Die Münchner Regisseurin Alice Agneskirchner hat die hochbetagten Gregors mit ihrer Kamera begleitet und ein sensibles Porträt gestaltet, in dem die Gregors ihre ganze Leidenschaft für die laufenden Bilder offenbaren dürfen. Zu sehen ist der Film noch bis Anfang März im Wiener Metrokino.
"Komm mit mir in das Cinema - Die Gregors" ist eine Reise durch 70 Jahre Filmgeschichte, ergänzt um unzählige Bonmots und Anekdoten aus dem Leben der Gregors: Schon nach dem Krieg initiierten die beiden einen neuen Diskurs über Film, gründeten 1963 die Freunde der Deutschen Kinemathek und 1970 das Arsenal Kino, eines der bekanntesten Programmkinos in Berlin und heute auch Spielstätte der Berlinale, der die Gregors ebenfalls verbunden waren: 1971 hoben sie dort eine neue Festivalsektion aus der Taufe, das "Internationale Forum des Jungen Films", eine Reihe, die bis heute eine der tragenden Säulen der Berlinale ist und vielen deutschen und internationalen Nachwuchsfilmern eine große Bühne geboten hat.
Als das "Forum" gegründet wurde, befand sich das Festival selbst in einer Krise, nachdem die Jurymitglieder 1970 unter dem Jurypräsidenten George Stevens gegen die Aufnahme von Michael Verhoevens Anti-Vietnamkriegsfilm "O.K." in die offizielle Auswahl protestiert hatten, weil er "antiamerikanisch" sei.
Unter dem Vorwurf der Zensur wurde das Festival abgebrochen, und es wurden keine Bären vergeben. Seit seiner Gründung 1971 bot das "Forum" eine Plattform für Filme, die für den Hauptwettbewerb zu radikal erschienen. Es gab dem Festival so eine künstlerische Glaubwürdigkeit zurück.
"Eine Herzensangelegenheit"
Regisseurin Agneskirchner, selbst eifrige "Forum"-Besucherin, kennt die Gregors seit 30 Jahren. "Der Film war mir eine Herzensangelegenheit", sagt sie. "Wir haben uns angefreundet. Ich hatte immer im Kopf, dass das, was sie wissen, was sie gemacht haben, irgendwie festgehalten werden muss. Alle sollen erfahren, welche Verdienste die Gregors für das Kino in Deutschland errungen haben".
Die Gregors musste Agneskirchner aber erst von ihrem Projekt überzeugen. "Sie sagten zu mir: ‚Ist das wirklich nötig? Wir sind zwei alte Leute. Was wollt ihr denn zeigen?‘" Agneskirchner konnte sie dennoch überzeugen, und die Pandemie half ihr dabei: Denn die Gregors waren selbst nach ihrem Ruhestand ab 2001 ständig bei Filmfestivals in aller Welt unterwegs, was mit Corona schlagartig endete. Also hatte das Paar genug Zeit, sich von Agneskirchner und ihrer Crew filmen zu lassen.
Mit den Gregors eröffnete sich für Agneskirchner auch ein gewaltiger Schatz, bestehend aus deren Archiv: Bücher, Zeitschriften, Filmrollen, Plakate. Über 40 Filme kommen in der Doku vor, die Klärung der Rechte war aufwendig, aber oft auch richtig einfach: "Aki Kaurismäki hat uns die Ausschnitte aus seinen Filmen kostenlos zur Verfügung gestellt", sagt Agneskirchner, für die die Gregors auch ein Türöffner waren: "Egal, wem ich erklärte, dass ich einen Film über die Gregors drehe: Alle waren sofort begeistert und boten sich bereitwillig als Interviewpartner an". Und so kommen in dem kurzweiligen, 155 Minuten langen Porträt auch Künstler wie Jim Jarmusch, Michael Verhoeven, Wim Wenders oder Volker Schlöndorff zu Wort.
Die Beziehung der Gregors wurde über die Jahrzehnte gespeist aus der Liebe zum Kino, das für sie die schönste Nebensache der Welt war. "Sie halten zusammen, können aber auch gewaltig streiten", sagt Agneskrichner, die von Ulrich Gregor das schönste Kompliment bekommen hat, nachdem er den ersten, viel zu langen Rohschnitt gesehen hatte. "Er meinte als erste Reaktion: ‚Ich könnte noch mehr gucken‘", sagt sie. Ein Paar, für das das Kino ein Grundnahrungsmittel ist, das es am Leben hält.