Film als Ablenkung in schwierigen Zeiten? Das klang fast so aus dem Mund von Kristen Stewart, der diesjährigen Jury-Präsidentin der Berlinale: Filme seien ein Mittel gegen das Gefühl von Ohnmacht in Krisenzeiten: "Es ist eine tolle Möglichkeit, daran mitzuwirken, schöne Dinge in einer Zeit zu betonen, in der es hart ist, daran festzuhalten", sagte sie. Aber als Aufruf zur Kommerz-Konsumation sollte das nicht verstanden werden, denn es sei "die Aufgabe eines Künstlers, ein ekelhaftes oder schlimmes Thema aufzugreifen, es zu verarbeiten und in etwas Schöneres, Hilfreiches zu verwandeln." Stewart sagte auch, dass dies gerade bei der Berlinale so wichtig ist: "Speziell dieses Festival ist, was seine Geschichte betrifft, auf positive Weise konfrontativ und politisch."

So ganz politisch ist dann der Eröffnungsfilm nicht ausgefallen - zumindest nicht in Hinblick auf die aktuellen politischen Krisen, auf die bei der Eröffnungsfeier mit der Zuschaltung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj eindrücklich hingewiesen wurde. In Rebecca Millers Verfilmung ihrer eigenen Kurzgeschichte "She Came to Me" geht es um einen Opernkomponisten (Peter Dinklage) in der Schaffenskrise, der auf Zuraten seiner Frau (Anne Hathaway) auf die Suche nach Inspiration geht und dabei eine Schlepperkapitänin (Marisa Tomei) kennen und lieben lernt, die ihm zur Muse wird. Das ist aber erst der Anfang eines ziemlich absurden und chaotischen Plots, der noch eine Jugend-Heirat und eine Alien-Oper beinhaltet, sowie den neuen Bruce-Springsteen-Song "Addicted to Romance". Ein Film, der sich anfühlt wie ein überladenes Melodram um Liebe und den Drang, sich selbst zu verwirklichen. Die Regisseurin hat einen brillanten Cast zusammengestellt, und ihre Geschichte verleitet zum Grinsen; vielleicht ist "She Came to Me" genau deshalb der perfekte Eröffnungsfilm (gezeigt außerhalb des Wettbewerbs, als Special-Gala), weil er sich eben nicht um das große Leiden dieser Tage auf der Welt dreht. Nicht jeder wird das mögen.

Cronenbergs Sohn

Auch um das Finden von Inspiration geht es in Brandon Cronenbergs "Infinity Pool", ein reißerischer Film, der in ein mondänes Resort im fiktiven Staat Li Tolqa entführt, wo der Schriftsteller James (Alexander Skarsgård) mit seiner Frau Em (Cleopatra Coleman) nach Eingebung sucht. Sein letztes Buch ist sechs Jahre her, und er hofft, von der neuen Umgebung inspiriert zu werden. Stattdessen kommt die Inspiration von der koketten Schauspielerin Gabi (Mia Goth) und ihrem Architekten-Ehemann Alban (Jalil Lespert), die James unter ihre Fittiche nehmen. Dass dieses Paar nicht vertrauenswürdig ist, liegt schnell auf der Hand, und es wird in diesem Film noch einen Vorfall geben, auf den die Todesstrafe steht - die der Verurteilte allerdings umgehen kann, wenn er reich genug ist, um von sich einen Klon herzustellen, der an seiner statt hingerichtet wird.

Brandon Cronenberg nähert sich immer stärker dem Body-Horror seines Vaters David an; dessen Vorbildwirkung auf den Sohn ist visuell in jeder Einstellung spürbar, das alles wirkt sehr elegant und ist auch entsprechend blutig, aber Brandon Cronenberg wahrt zu seinen Figuren eine auffallend große Distanz.

Zu sehen war in Berlin bereits die österreichisch-französisch-belgische Koproduktion "The Beast in the Jungle" des in Frankreich lebenden österreichischen Regisseurs Patric Chiha, der mit diesem Film im März auch die kommende Diagonale in Graz eröffnen wird. In der Reihe Panorama interpretiert Chiha eine Kurzgeschichte von Henry James, die 1979 beginnt und sich über 25 Jahre zieht. Im Mittelpunkt steht ein Nachtclub, in dem ein Mann und eine Frau einem geheimnisvollen Ereignis entgegenfiebern, während sich der Sound mit der Zeit von 70er-Jahre-Disco in Richtung Techno wandelt. Es ist eine Geschichte um Liebe und Obsession, die sich in eine tragische Richtung entwickelt.