An einem Strand in Frankreich kommt ein Kleinkind zu Tode, weil es von der Flut überrascht wird. Seine Mutter steht bald darauf vor Gericht, man klagt sie des Mordes an. Die aus dem Senegal stammende Pariser Professorin Rama (Kayije Kagame) reist ins nordfranzösische Saint Omer, um diesem Gerichtsprozess beizuwohnen. Je länger die Anhörung der Kindesmutter, der Senegalesin Laurence Coly (Guslagie Malanga), dauert, desto mehr wird klar, dass hier keineswegs alles so eindeutig erscheint wie zunächst angenommen.
Die als Dokumentarfilmerin bekannt gewordene Alice Diop hat ihren Spielfilmerstling "Saint Omer" einem realen Fall nachempfunden, der Frankreich 2013 erschüttert hatte und dem die Regisseurin damals beiwohnte. Durch ihre Augen, respektive durch die Augen Ramas rollt Diop sachlich die Fakten auf und generiert damit große Spannung. Ihr nüchterner, dokumentarischer Stil gerät dabei zum Vorteil, weil der Film nichts dramaturgisch schönt oder glättet, um Genrekonventionen zu entsprechen. Stattdessen verlegt Diop ihr Interesse ganz und gar auf ihre beiden Hauptdarstellerinnen, die ganz famos agieren. Für die Figur der Mutter gibt es vielschichtige soziale und gesellschaftliche Aspekte, die sie an diesen Strand geführt haben. Man weiß nicht, ob sie Täter oder Opfer ist.