Nach einem abgeschlossenen Publizistikstudium hat die Wienerin Bea Blue ihren Agenturjob an den Nagel gehängt - um Pornos zu drehen. Sie legt bei Kamera, Drehbuch und Schnitt selbst Hand an. Mit ihren feministischen Pornofilmen möchte sie die Szene aufmischen.

"Wiener Zeitung": Was hält Ihr Umfeld von Ihrer Berufswahl?

Bea Blue: Das Filmgewerbe ist ein männlich dominiertes Feld. Ich wollte mehr Diversität und weiblichen Input. Ich habe es von heute auf morgen entschieden, aber viel Unterstützung von meinem engen Kreis bekommen. Mein Vater hat das zuerst gar nicht ernst genommen. Er hat nicht gedacht, dass ich das durchziehe.

Sie produzieren ethische und feministische Pornos. Was kann man sich darunter vorstellen?

Ich gewährleiste gewisse Rahmenbedingungen hinter der Kamera. Einverständnis und Ethik sind vorrangig, ebenso wie faire Arbeitsbedingungen. Ich zahle allen einen Grundbetrag, auch wenn ich am Ende auf den Kosten sitzenbleibe. Jede Person, die am Set arbeitet, muss fair bezahlt werden. Ein Merkmal meiner Arbeit ist, dass ich Zustimmung auch aktiv vor der Kamera zeigen möchte. Das bedeutet, salopp gesagt, je härter der Sex, desto klarer muss Consent vor der Linse kommuniziert und abgebildet werden. Ich möchte nicht, dass es daran auch nur den geringsten Zweifel gibt. Eine Frau, die vor der Kamera zeigt, was sie möchte, wird oft als dominant dargestellt, ich möchte das normalisieren. Sprecht im Bett darüber, was euch gefällt. Das ist wichtig.

Ihr Debütfilm "Fuck Yourself" zeigte eine Frau beim Masturbieren. Was war die Idee dahinter?

Jede Story beinhaltet eine Message. Frauen werden immer sexualisiert und wir sind daran gewöhnt, das in Werbung und Filmen zu sehen. Pornografie ist in der Hinsicht die extremste Form. So gesehen ist eine nackte Frau nie aus reinem Selbstzweck unbekleidet. Historisch betrachtet, war die Frau vor allem dafür da, andere zu erregen. In diesem Film masturbiert sie für sich selbst, nicht für jemand anderen. Sie bringt sich selbst zum Orgasmus. Ein Aufruf: Frauen, fasst euch an! Es geht nicht darum, jemandem zu gefallen, sondern sich selbst zu entdecken. Der Austausch mit den Darstellenden ist dabei essenziell. Das Skript ist wie ein Kleid, das maßgeschneidert wird. Man muss schauen, dass es zu einer Person passt. Alle Beteiligten sollen sich bei der Arbeit wohlfühlen.

Für welches Publikum machen Sie Ihre Filme?

Es sind großteils Männer, aber auch Frauen. Ich finde, dass das trotzdem ein gutes Zeichen ist. Feministische Pornos müssen nicht automatisch nur Frauen ansprechen, sondern sind auch für Männer interessant.

Denken Sie, dass der Begriff "feministisch" männliche Zuseher abschreckt?

Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich das Wort Feminismus verwenden soll. Aber ich bin eine Feministin und mir ist es wichtig, dass man Männer wie Frauen inkludiert. Es geht nicht darum, Männerhass zu praktizieren, sondern darum, dass Männer und Frauen auf Augenhöhe kommen. Männer sind genauso von Sexismus betroffen. Ich würde gern Männer einladen, Feminismus nicht als Männerhass wahrzunehmen - besonders bei Pornos.

Manche Feministinnen interpretieren Pornos als Freiheit, andere lehnen sie strikt ab. Wie sehen Sie das?

Ich verstehe, dass der erste Impuls oft negativ ist. Aber einer Person rundweg abzusprechen, in der Pornografie mitzuwirken, kann’s auch nicht sein. Man kann einer Frau doch nicht vorschreiben, keine Pornos zu machen, weil das nicht feministisch sei. Dann wird doch wieder über ihren Körper entschieden. Stigmatisierungen sind grundfalsch. Die wichtigere Frage ist: Wie kann man es besser gestalten? Um Frauen zu bestärken und Fremdbestimmung zu reduzieren. Es gibt auch Bereiche, die ich persönlich nicht gutheiße, aber die gesamte Pornografie zu stigmatisieren finde ich falsch. Pornografie wird nicht verschwinden, also ist es doch viel besser, die Türen aufzumachen, mitzureden und umzugestalten, als alles schweigend abzulehnen.

Könnten junge Menschen von fairen Pornos profitieren?

Sexualität ist etwas Intimes. Das macht Pornos so kontrovers - die Leute sind peinlich berührt. Erwachsene Menschen wissen, wie Sex funktioniert. Junge Menschen verspüren möglicherweise Druck, dass es dann so aussehen muss wie im Porno. Man muss aber zeigen, dass Kommunikation unverzichtbar ist. Als ich ein Teenager war, war ich komplett irritiert, weil ein Sexpartner sich so verhalten hat, als würde er einen Porno nachahmen. Ich habe klar gesagt, dass er mich fragen muss, ob gewisse Dinge in Ordnung sind. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle das so möchten. Es war für mich unverständlich, wie man so pornofiziert Sex haben kann, ohne das vorab zu klären. Diese Verantwortung muss man übernehmen. Aufklärung in diesem Sinne ist wichtig.

Wie stehen Sie eigentlich zu harter Pornografie?

Fantasie bedeutet auch, dass man härtere Sachen abbildet, das möchte ich künftig vermehrt tun. Allerdings werde ich Experten dazuziehen, sogenannte Consent-Koordinatoren. Das sind Personen, die am Set darauf achten, dass es allen gut geht, und auch mich als Verantwortliche in die Schranken weisen können. Einverständnis bei härterem Sex gehört klar mitgeteilt. Harter Sex ist eine berechtigte Fantasie, damit geht jedoch eine enorme Verantwortung einher, der ich gerecht werden will - feministischer Porno muss nicht Vanilla-Sex sein. Aber es gibt Dinge, die ich nicht abbilde, dazu gehören Gewalt und Kriminalität. Vergewaltigungspornos schließe ich strikt aus, so etwas werde ich nie promoten.

Die inszenierte Gewalt richtet sich meist gegen Frauen. Im Internet sind diese Gewaltpornos massenhaft verfügbar. Die Anbieter sollen einen Umsatz von über 12 Millionen Euro pro Tag damit erzielen. Warum befriedigt das Ihrer Meinung nach die Lust so vieler Menschen?

Das frage ich mich auch. Einerseits glaube ich, dass Pornografie Ausdruck eines gesellschaftlichen Ungleichgewichts ist, ein Spiegel unserer Gesellschaft in der Art und Weise, wie Frauen abgebildet werden. Andererseits sind Fantasien komplex. Man kann Sachen ansprechend finden, ohne sie selbst auszuleben. Zum Beispiel führen Gewaltpornos nicht automatisch zwingend dazu, dass Gewalt an Frauen ausgelebt werden muss. Eine einzig richtige Antwort darauf gibt es nicht. Man kann aber Alternativen bieten, die genauso sexy sind, ohne diese Elemente, und trotzdem den Reiz des Verbotenen beinhalten.

Wie stehen Sie zu Internet-Plattformen wie Pornhub, die viele dieser Filme anbieten?

Ich verkaufe meine Filme auf ethischen Plattformen, stelle aber Trailer oder Ausschnitte dort frei zur Verfügung. Denn ein Großteil, der Interesse an fairen Pornos hätte, geht nicht auf alternative Plattformen, sondern auf Pornhub oder andere klassische Seiten. Ich möchte Menschen die Chance geben, diese Inhalte zu entdecken, ohne stundenlang dafür recherchieren zu müssen. Man darf keine Berührungsängste haben. Mainstream-Porn ist nicht per se schlecht. Filme auf einer größeren Plattform zu verkaufen, sagt auch nichts über die Inhalte an sich aus. Gleichzeitig ist alternativ nicht automatisch gut.

Ihre Zukunftswünsche?

Es gibt viele kreative Leute in der Branche, die Erotikfilme machen. Also: weg von der Stigmatisierung. Porno ist auch nur ein Job! Im Grunde ist es wie ein Werbefilm, nur teilen die Leute mehr Intimität. Ich wünsche mir deshalb, dass man Pornos nicht abschreibt, sondern neu schreibt.