Manche Lebensträume werden doch wahr, wenn man nur fest genug daran glaubt. Davon erzählen bei der Diagonale in Graz einige Filme, oder zumindest: Sie erzählen von Träumen, nicht unbedingt von wahr gewordenen. Das Kino als Projektionsfläche für Fantasien, es gibt sich hier große Mühe, in all dem tristen Weltschmerz doch auch Hoffnung zu versprühen.

Da ist zum Beispiel die Arbeit "Mermaids Don’t Cry" von Franziska Pflaum, die eigentlich keine Wohlfühlkomödie ist und doch ganz viel Charme und manchmal auch ein wohliges Gefühl versprüht. Es geht um die Supermarktkassierin Annika (Stefanie Reinsperger), die von einer Meerjungfrauenflosse träumt. Das Eintauchen ins Meer macht sie, die mit ihrem Äußeren zu kämpfen hat, schwerelos, ihr Tagtraum endet jäh im nicht vorhandenen Budget von 2.458,90 Euro, die ihre Wunschflosse kostet. Aber Annika will ihr Leben selbst in die Hand nehmen, ist eine selbstbewusste Protagonistin, die in diesem Film mehrmals an den Rand der Verzweiflung gebracht wird; erst taucht ihr Vater (Karl Fischer) im Rollstuhl auf, ohne wirklich behindert zu sein. Ihre kesse Nachbarin und Arbeitskollegin (Julia Franz Richter) parkt ihre Kinder lieber bei ihr, um reihenweise Haberer abzuschleppen. Und die esoterisch angehauchte Supermarktchefin gibt sich bei finanzieller Unterstützung taub - vorerst.

"Mermaids Don’t Cry" ist der seltene Glücksfall von einem Film, der Unterhaltung und Anspruch so vereint, dass der Zuschauer mit Wonne durchgetragen wird, obwohl er letztlich einer tragischen Komödie beiwohnt. Bewusst vorhersehbar legt Regisseurin Pflaum ein paar Wendungen in den Plot, lässt ihre Hauptdarstellerin zu wahrer Hochform auflaufen und überzeugt auch in den Nebenrollen mit einer sicheren, authentischen Figurenzeichnung. Der Film bleibt bodenständig und driftet nie ins Fantastische ab, gerade deshalb ist er so frisch und lebensnah. Und Stefanie Reinsperger empfiehlt sich für einen Darstellerpreis.

Träume der Vergangenheit, Realismus in der Gegenwart

Träume der Vergangenheit sind es, die Ludwig Wüsts Figuren in "I Am Here!" umtreibt. Ein Mann (Markus Schramm) und eine Frau (Martina Spitzer) streifen durch einen Wald, auf der Suche nach Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit; es geht um das Leben und das Sterben, darum, die eigene Mutter zu verlieren und um die Abziehbilder einer lang vergangenen Jugend, in der man auch obszöne Erlebnisse in die Fotokiste auf dem Dachboden gesteckt hat. Wüst legt einmal mehr ein Kino des Minimalismus vor; zwei Personen und etwas mehr als eine Stunde Laufzeit reichen dem Regisseur für ein reichhaltiges, intensives und eindringliches Sehnsuchtsporträt, das nach hinten und nach vorne gleichermaßen gerichtet ist. In "I Am Here!" sind viele Träume zu Traumata geworden, was Wüst mit seiner scheinbar improvisierten Art zu einem Höhepunkt in seinem Schaffen verdichtet - gedreht auf wunderbar körnigem 16mm-Material, was dem Film gleich den von Kodak gestifteten Analogfilmpreis einbrachte.

Auch Marko Doringer verhandelt in seinen Filmen stets (zerbrochene) Träume und stellt ihnen die eigene Lebensrealität gegenüber. War sein letzter Film "Mein Wenn und Aber" eine Reflexion auf das Leben werdender Eltern und auf ihre Abgrenzung zu den eigenen Müttern und Vätern, so verhandelt "Dein Leben - mein Leben" Grundsätzliches über die Frage, welche Ansprüche man an das eigene Lebensglück überhaupt stellen darf. Eine Depression des Filmemachers ist der thematische Unterbau seines subjektiven Dokumentarfilms, in dem er Freunde und Familie befragt und Sehnsuchtsorte aus der Kindheit besucht.

Noch ein Traum: Nämlich der von der Schauspielerei. Anna (Anna Suk) quält dieser Traum, weil sie in einer Schauspielschule jobbt. Obwohl sie eigentlich selbst Schauspielerin werden wollte. Und nun ist sie in Özgür Anils "Wer wir einmal sein wollten" plötzlich von ihrem Traum abgekommen und will Jus studieren. Doch das geht sich zusehends nicht aus. Anils Langfilmdebüt ist eine ungewöhnliche Coming-of-Age-Geschichte und spekuliert mit der Frage, wieso unsere Lebensplanungen oftmals nicht mit unseren Lebensrealitäten übereinstimmen. Manche Träume bleiben leider Träume.