Es wird viel diskutiert dieser Tage in Graz. Die Diagonale ist nicht nur bekannt als Festival des österreichischen Films, sondern auch als Ort der Auseinandersetzungen. Viele Themen ließen hier schon die Wogen hochgehen, vor allem Politisches, man erinnert sich hier gern an die Zeit, als die Filmbranche geschlossen gegen Schwarz-Blau auf die Straße ging. Das ist lange her, das war im Jahr 2000.

Inzwischen ist der Debattenreichtum vielfältiger geworden. Heute geht es um Geschlechterrollen, um die Sichtbarkeit von Menschen jenseits des weißen Mainstream, um Feminismus und seine Triebfedern. Die Filmbranche, die wie kaum eine andere Gruppe in den letzten Jahren betroffen war von Missbrauchsvorwürfen, von der Ausnutzung von Machtverhältnissen und von der Ungleichbehandlung der Geschlechter, scheint darin geeint zu sein, gegen all diese Missstände aufzutreten, allein: Es fehlt noch an Instrumentarien, das umzusetzen. Ein bisschen ratlos verordnet man sich Aufsichtspersonen am Set, die für friktionsfreie Dreharbeiten sorgen sollen. Es gibt Intimitätsbeauftragte beim Dreh von Sexszenen, damit dort auch alles ohne unangenehme Situationen abläuft. Die Filmförderung will ihre Zuwendungen an Bedingungen knüpfen, die - einer Art Hausordnung gleich - die Drehbedingungen missbrauchsfrei hält.

Malina Nwabuonwor, Weina Zhao und Anouk Shad kämpfen mit dem Verein "Gewächshaus" um mehr Diversität. 
- © Eric Asamoah

Malina Nwabuonwor, Weina Zhao und Anouk Shad kämpfen mit dem Verein "Gewächshaus" um mehr Diversität.

- © Eric Asamoah

Aber helfen solche Maßnahmen wirklich gegen Missbrauch, wird damit die Gleichstellung der Geschlechter gefördert oder nur verordnet? Muss es nicht erst einmal in den Köpfen ankommen, dass die Unterschiede zwischen Männern und Frauen so groß nicht sind?

Mann, Frau oder egal?

Man müsse endlich rauskommen aus der Debatte, ob es um Männer oder Frauen ginge, findet eine der befragten Expertinnen im Dokumentarfilm "Feminism WTF" von Katharina Mückstein. Die Regisseurin ("Talea", "L’Animnale") ist eine der Protagonistinnen der inzwischen sehr laut gewordenen Szene innerhalb der Filmbranche, die Mut machen, gegen Diskriminierung und Missbrauch aufzustehen und den Mund aufzumachen. Mückstein, die sich selbst als Feministin sieht, weil ihr schon als Kind missfiel, das Rollenbild eines Mädchens erfüllen zu müssen, sich klein zu machen, lieb zu sein und gefallen zu wollen, hat im Vorjahr die Missbrauchsvorwürfe gegen Lehrende an der Wiener Filmakademie ins Rollen gebracht. Seither ist in die Branche keine Ruhe mehr eingekehrt. Die weltweit und auch in Österreich von "alten, weißen Männern" geprägte Filmindustrie bekommt in regelmäßigen Abständen ihre Verfehlungen aufgelistet. Die Affäre um kinderunwürdige Drehbedingungen am Set von Ulrich Seidls Film "Sparta", der ebenfalls bei der Diagonale gezeigt wird, beschäftigten die Szene im vergangenen Herbst und konnte nur mit Mühe und viel Kommunikationsaufwand seitens des Filmemachers halbwegs vom Tisch gebracht werden; gelöst ist das Problem nicht: Drehbedingungen und Machtverhältnisse an einem Set bleiben ein Faktor, der die ganze Branche beschäftigt. Umso mehr, seit Anfang des Jahres auch der Kinderpornografie-Fall Florian Teichtmeister ein weiteres Schlaglicht auf Zustände warf. Nicht allein der Umstand, dass Teichtmeister Unmengen an kinderpornografischem Material besessen haben soll, sondern auch die Vermutung, dass es viele seiner Kollegen gewusst haben sollen, ohne dagegen aufzustehen, bringt weiter Unruhe in die Branche.

Die Diagonale soll all das reflektieren, weshalb man hier eben auch Mücksteins Film zeigt und am Wochenende in einer Diskussionsveranstaltung darüber reden wird. "Feminism WTF" will laut Mückstein kein allgemeingültiger Film über Feminismus sein, obwohl er sehr grundsätzlich an das Thema herangeht und viele Fragen behandelt, die eigentlich schon lange im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen sein müssten. Eigentlich. Mückstein: "Ich habe bewusst die Perspektive einer weißen, europäischen Cis-Frau mit gewissen Privilegien gewählt, die meine eigene ist. Diese Perspektive ist freilich eine eingeschränkte, mir war klar, dass ich keinen Film produzieren kann, der alles abbildet, was Feminismus ist." Dennoch reißt der Film viele drängende Probleme an: Etwa die Annahme, dass Frauen in der Gesellschaft nach wie vor eine oftmals dienende Rolle zugeschrieben bekommen. Dass sie in ihrer Funktion als Erzieherinnen unbezahlte Arbeit leisten, die - so die Annahme - den Kapitalismus ruinieren würde, würde sie fair entlohnt.

Diversität im "Gewächshaus"

Auch die Vorstellung, Frauen seien von Natur aus fürsorglich, thematisiert der Film. Und die Frage, weshalb erwachsene Menschen ihr Verhalten anpassen, je nachdem, ob sie mit einem männlichen oder einem weiblichen Kind spielen. Den Buben nähert man sich technischer, man spricht mit ihnen normaler, während man zu Mädchen eher mit hoher Stimme spricht. Ein interessantes Experiment in "Feminism WTF".

Längst ist das Frausein nicht mehr der einzige Gegenstand in der Debatte um Gleichberechtigung und Diversität. Bei der Diagonale in Graz zeigten sich weitere neue Initiativen, die sich um mehr Gerechtigkeit vor und hinter der Filmkamera bemühen. Die Initiative "Gewächshaus" will Diversität fördern und tritt vor allem dafür ein, die Community der BPOC (Black & People of Colour) in Filmen sichtbarer zu machen. "Film im deutschsprachigen Raum ist immer noch von einem weißen Blick geprägt, der Diversität meist nur als klischeebesetzte Abziehbilder und als Randgruppenthema begreift", sagt die Regisseurin Weina Zhao, die die Initiative mit der Produzentin Anouk Shad und der Drehbuchautorin Malina Nwabuonwor bei der Diagonale aus der Taufe gehoben hat. Als Verein organisiert, will man bei Veranstaltungen verstärkt auf die Problematik hinweisen, auch kuratierte Filmprogramme anbieten und Panels oder Workshops organisieren. "Ein Viertel der Bevölkerung in Österreich ist migrantisch, diese Lebensrealitäten werden vor und hinter der Kamera selten widergespiegelt", sagt Anouk Shad. Es brauche dringend neue Blickwinkel auf die Zusammensetzung der Gesellschaft.

Alarmierende Fallzahlen

Inzwischen gibt es in Österreich einige Anlaufstellen, die sich mit Anliegen rund um Gleichberechtigung und Diversität befassen. Der Verein "FC Gloria" setzt sich seit 2010 für Geschlechtergerechtigkeit in der österreichischen Filmbranche ein und will Frauen in der Branche besser vernetzen. "Eine (Film-)Welt der Gleichbehandlung, der Diversität, der fairen Aufteilung der Ressourcen, der Wertschätzung und des Respekts", fordert man dort. Mit der Plattform "#we_do!" gibt es seit 2019 eine Anlaufstelle, die anonym und vertraulich Berichte von sexuellen Übergriffen, Diskriminierungen oder Gewalt sammelt. Die Zahlen sind alarmierend: Gab es 2019 noch insgesamt 24 Kontaktaufnahmen aus der Filmbranche, so schoss diese Zahl 2022 auf 81 Meldung in die Höhe. "Diese beinahe Vervierfachung zeigt, wie relevant das Thema ist", sagt Meike Lauggas, die der Plattform als Coach und Trainerin zur Verfügung steht. "Dabei sind die Fälle nicht unbedingt im Umfeld der öffentlich bekannten Missbrauchsvorwürfe zu finden, sondern in allen möglichen Sparten." Ein Problem, das sich durch alle Bereiche und Schichten zieht, und das nur in den prominentesten Fällen sichtbar wird. Dass Missbrauchsthemen in aller Munde sind, habe aber geholfen, die Scheu vor einem Aufzeigen zu verringern.

Die Diagonale macht ihrem Image als Ort der Debatte also weiterhin alle Ehre. Es gilt, die Probleme unnachgiebig zu formulieren und immer wieder auf den Tisch zu legen. Es ist ein bisschen so wie ein permanenter Unruhezustand, der die Thematik am Kochen hält. Oder, wie es eine der Expertinnen vor Katharina Mücksteins Kamera in "Feminism WTF" formuliert: "Die gesellschaftliche Ordnung in die Krise zu bringen, genau das wollen wir."