In "Sisi & Ich" (derzeit im Kino) ist Schauspielerin Sandra Hüller ("Toni Erdmann") in der Regie von Frauke Finsterwalder als Hofdame Gräfin Irma zu sehen, die Kaiserin Elisabeth (Susanne Wolff) in ihrer griechischen Enklave zur Verfügung steht und Gelüste und Launen der Monarchin ertragen muss. Vieles davon erstaunt Irma, bald aber stimmt sie ein in den seltsamen Rhythmus, den ihre Kaiserin der gesamten Entourage vorgibt. Es ist ein "Sisi"-Film, der versucht, die Kaiserin über ihr Umfeld (auch) auf komödiantische Weise zu sehen.

"Wiener Zeitung": Inwieweit war es für Sie wichtig, die historischen Fakten zu kennen, die dieser Geschichte zugrunde liegen?

Sandra Hüller: Wenn man sich wirklich an historischen Figuren orientiert, dann wäre der Weg wohl derjenige, dass man sehr genau recherchiert. Unsere Regisseurin Frauke Finsterwalder hat diesen Part sehr gut abgedeckt, denn sie war wirklich sehr genau vorbereitet und wusste viel über Sisi und ihre Hofdame Irma. Aber für uns Schauspielerinnen wünschte sie sich, dass wir möglichst nichts wussten und uns nicht schon im Vorhinein daran abarbeiteten, sondern, dass wir da unbedarft hineingehen. Sie wollte, dass wir mit ihrer Vorlage umgehen und sie als eine reine Fiktion begreifen.

Es gab jüngst viele Sisi-Neuverfilmungen, von Marie Kreutzers "Corsage" bis hin zu Mainstream-TV-Mehrteilern. Wo ist denn aus Ihrer Sicht dieser Film in der ganzen Sisi-Neuentdeckung zu Hause?

Ich kann das nicht so gut beurteilen, weil ich nicht alle anderen Versionen von Sisi-Filmen kenne. Aber Frauke Finsterwalder war wichtig, nicht historisch akkurat zu sein, sondern, dass sie Sisi und ihr Umfeld als Folien benutzt hat, um etwas über machtvolle Beziehungen zu erzählen. Es geht um Abhängigkeiten, um Missbrauch, um Körperbewusstsein, um das Streben nach Freiheit. Vielleicht ist das ein Film für Leute, die von der Sisi im klassischen Sinn nichts mehr wissen wollen. Denn damit hat der Film nur wenig zu tun.

Dass man heute mit historischen Figuren so umgehen kann, wie Sie es beschreiben, ist meiner Meinung nach das Verdienst von Sofia Coppolas Film "Marie Antoinette", ein radikaler Versuch, das Historische in einen popkulturellen Kontext zu setzen. Sehen Sie das auch so?

Ich fand diesen Film immer großartig. Ob er ein Vorbild war, müssten Sie Frauke fragen. Aber ich habe an diese Dinge natürlich gedacht: Also an den Einsatz von Musik, an die optische Umsetzung. Auch an den Film "The Favorite" von Yorgos Lanthimos. Für mich waren das Fragen in der Vorbereitung, die ich auch als Angst-Orte wahrgenommen habe, weil ich dachte: Mist, damit werden wir auf jeden Fall verglichen werden. Für Frauke war das hingegen nicht so wichtig, ob man gewisse Blickwinkel auf solche Figuren schon mal woanders gesehen hat. Sie hat versucht, ihre eigene Stimme zu finden in Bezug auf die Figuren. Das ist ihr auch gelungen, finde ich.

Die Beziehung zwischen Sisi und Ihrer Figur Irma fußt letztlich auf einem starken Drogenkonsum, mit denen sich die beiden Frauen in eine gewisse Stimmung bringen.

So habe ich das nie gesehen, aber jetzt, wo Sie das sagen, kann ich durchaus darüber nachdenken.

Vielleicht ist das zu sehr zugespitzt. Was macht diese Freundschaft aus?

Ich würde nicht von einer Freundschaft sprechen, ich stelle infrage, ob Freundschaft in einer solchen Konstellation überhaupt möglich ist. Ich glaube, es ist eine Ausnahme, wenn so etwas funktioniert, vor allem, wenn es dabei um Hierarchien geht. In Wahrheit geht es um eine toxische Verbindung, die viel mit Anziehen und Abstoßen zu tun hat, und um das permanente Demonstrieren von Macht und um das Zeigen, wer die Chefin ist. Das hat in meinem Erleben nichts mit Freundschaft zu tun. Dass es zwischen den beiden eine Nähe gibt und dass sich beide brauchen, das trifft jedenfalls zu. Aber das ist keine gute Grundlage für eine Freundschaft.

Was brauchen Sie, um in eine solche Rolle hineinzufinden?

Ich weiß nicht genau, was es bedeutet, in eine Rolle hineinzufinden. Mit dem Begriff habe ich Schwierigkeiten. Das klingt, als würde man in einen Tunnel hineingehen. Aber das ist es nicht, denn ich bleibe ja immer noch ich selbst und habe auch ein Leben. Ich finde, es hilft in meinem Beruf generell sehr, wenn man viel über menschliche Dynamiken weiß in allen möglichen Ausprägungen. Wenn man ein bisschen über Psychologie Bescheid weiß und man seine eigenen dunklen Stellen kennt.

Ist es eigentlich immer die gleiche Methode, mit der Sie sich einer Rolle annähern?

Nein, das ist wirklich immer unterschiedlich. Manchmal lernt man den Text und geht einfach hin. Manchmal muss man dafür etwas Neues lernen. Manchmal gehe in an Orte in mir, an denen ich nicht so gern bin. Manchmal muss ich ein paar Leute ausfragen. Es ist ganz verschieden.

Gibt es nach den #MeToo-Ereignissen eigentlich aus Ihrer Sicht eine spürbare Verbesserung für Frauen in der Filmszene? Hast sich etwas zum Guten gewandelt?

Ich glaube, es ist heute einfacher geworden, Missbrauch und dergleichen anzusprechen, das stimmt. Aber man muss es tatsächlich auch machen, das nimmt einem niemand ab. Das ist immer noch so. Ich möchte gerne immer noch mal einen Mann sehen, der sagt, da ist Unrecht passiert. Das ist sehr selten. Das müssen wir schon immer noch selbst machen, und wir tun es auch. Generell ist es noch ein weiter Weg, den wir vor uns haben.

Ist die Angst, aufzustehen und zu sagen: "Halt, da passiert gerade etwas!", ist diese Angst weniger geworden?

Die ist weniger geworden, ja.