Am Mittwoch startete die 32. Ausgabe des Jüdischen Filmfestivals in Wien. Zwei Wochen lang werden hier nun Filme aus vornehmlich israelischer Produktion gezeigt. Nachdem nur einen Tag zuvor der heurige Antisemitismusbericht im Auftrag des österreichischen Parlaments veröffentlicht worden war, in dem gerade jungen Erwachsenen in Teilen starke antijüdische Überzeugungen nachgewiesen werden, könnte der Zeitpunkt für einen anderen Blickwinkel auf jüdisches Leben und jüdische Kultur kaum besser gewählt sein.
Dass es sich beim Wiener Festival um keine normale Veranstaltung handelt, merkt man rasch. Zwar findet man weder rote Teppiche vor, noch sieht man Stars im Blitzlichtgewitter, aber anders als ein Indie-Filmfestival ist es dann doch: Nichts verweist außerhalb des Kinos am Bahnhof Wien-Mitte auf die Veranstaltung, selbst im Foyer findet sich wenig Aufmachung. Unterdessen mustern Sicherheitsleute die Besucherinnen und Besucher, schauen unter Sitzbänke und Misteimer. Eine jüdische Kulturveranstaltung stellt auch 78 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Land der Täter keine Selbstverständlichkeit dar.
Spiegel einer heterogenen Gesellschaft
Wohl aber in Israel, das heuer seinen 75. Geburtstag feiert und im Zentrum des Festivals steht. Kein Zufall also, dass Katharina Stemberger zur Eröffnung die Unabhängigkeitserklärung des Landes verliest, der Historiker Tom Segev auf die gegenwärtige tiefe Spaltung der Gesellschaft, die wöchentlichen Proteste sowie das Schicksal der Palästinenser hinweist und Botschafter Mordechai Rodgold anmerkt, dass man sich "mit Kritik von innen und von außen auseinanderzusetzen weiß", jedoch ein "im Gegensatz zu den meisten unserer Nachbarn" hinzufügt.
Nachbarschaft war dann auch das Kernthema des Eröffnungsfilms "Karaoke". In das Hochhaus, in dem das etwa 60-jährige Paar Tova und Meir wohnen, zieht ein neuer Bewohner in das im obersten Stockwerk gelegene Penthouse. Beide buhlen um die Zuneigung ihres neuen Freundes Itzak und finden dadurch wieder zu sich selbst als Einheit zweier bis dato Entfremdeter, die einmal jährlich zusammen nach Rhodos reisen. Eine weitere Gelegenheit das Werk des Regisseurs Moshe Rosenthal zu sehen, bietet sich am 3. Mai. Bis dahin sollte man aber nicht warten, denn der Film ist auch der Schlusspunkt des vielfältigen Programms. Dokumentationen über David Ben-Gurion ("Ben Gurion, Epilogue"), Golda Meir ("Golda") oder hippiebeeinflusste Kibbuzim ("Apples and Oranges") wechseln sich ab mit alten und neuen Spielfilmen, die unter anderem den Konflikt mit den Palästinensern beleuchten ("The Narrow Bridge"), aber auch Geschichten aus dem Leben der queeren israelischen Gesellschaft erzählen ("Der Schwimmer"). Etwas leichtere Unterhaltung verspricht da die Liebeskomödie "Matchmaking".
Nicht wegen, sondern trotz
Wäre Tom Segev Drehbuchautor, wäre ihm die Idee selbst zu kitschig gewesen, doch trug sie sich genauso zu: Während er vor elf Jahren am Holocaust-Gedenktag gerade auf einer Schnellstraße neben seinem Auto stand und die Sirenen heulten, um der Ermordeten zu erinnern, erreichte ihn die Nachricht der Geburt seiner Enkelin. In dieser Ambivalenz hat das Land nicht nur überlebt, sondern auch eine kleine solide Filmindustrie aufgebaut.
Entgegen allen Mythen lässt sich die Präsenz Israels in der Kultur und in seiner schieren Existenz mit den Worten Rodgolds zusammenfassen: "Der Aufbau des Landes gelang nicht wegen der Schoa, sondern trotz der Schoa". Einen kritischen Blick auf den Staat anhand seiner filmischen Auseinandersetzung mit sich selbst dürften die Filmfestspiele allemal gewähren.