Da hat Thierry Frémaux mal wieder ein bisschen gezündelt, als er den neuen Film von Maiwenn, "Jeanne du Barry", als Eröffnungsfilm für die 76. Filmfestspiele von Cannes ausgewählt hat. Frémaux, der langjährige künstlerische Leiter des Festivals, liebt es, mit seinen Filmen die eine oder andere Spitze zu geben, vor allem, wenn es sich um Inhalt und Mitwirkende handelt. Im Fall von "Jeanne du Barry" ist es inhaltlich das provokante Leben der Titelheldin, gespielt von Regisseurin Maiwenn selbst, die als einfaches Mädchen aus dem Volk einen sozialen Aufstieg verfolgt, mit ihren ganz eigenen Mitteln: Sie schläft sich buchstäblich hoch. Ihr Körpereinsatz war zu ihren Lebzeiten im 18. Jahrhundert ein Skandal, und doch gelang es dieser Frau, sogar das Herz des Königs zu erobern, der sie zwischen 1768 und 1774 zu seiner Favoritin machte. Die unkonventionelle Maitresse nahm sich kein Blatt vor den Mund, brüskierte den Adel immer wieder, war aber wegen ihrer Liebesdienste bekannt und wurde regelrecht "herumgereicht", wie es Maiwenns Film anschaulich zeigt.
Dass diese Geschichte gerade zu einer Zeit auftaucht, in der Diskriminierungen von Frauen in der Filmbranche und an vielen Filmsets an die Öffentlichkeit gelangen und sich generell die Stimmung gegen so genannte "alte, weiße Männer" und ihre Macht-Praktika wendet, ist eine weitere Spitze Frémaux, die seiner Ansage zum Lernprozess des Festivals, Frauen in der Filmkunst mehr zu berücksichtigen, ein bisschen konterkariert. Freilich: "Jeanne du Barry" wurde von einer Frau gemacht (was natürlich per se nicht heißt, dass er frei von Missbrach oder problematischen Inhalten sein muss).

Michael Douglas holte sich seine Ehren-Palme ab, in Begleitung von Ehefrau Catherine Zeta-Jones (rechts) und seiner 20-jährigen Tochter Carys Zeta Douglas.
- © Katharina SartenaNoch eine Spitze gefällig? Ausgerechnet Johnny Depp spielt hier König Louis XV., der seiner Konkubine Jeanne regelrecht verfällt. Es ist Depps Rückkehr ins Scheinwerferlicht, nachdem er lange Zeit von Hollywood geschasst wurde und nach der gerichtlichen Auseinandersetzung mit Ex-Frau Amber Heard zwar nicht verurteilt, aber imagemäßig als trinkender Pöbel-Gatte mit Hang zu Gewalt im Gedächtnis der Fans geblieben ist.

Jury-Präsident Ruben Östlund (rechts) mit den Jury-Mitgliedern Brie Larson und Denis Ménochet.
- © Katharina SartenaThierry Frémaux hat also, wenn das sein Ansinnen gewesen sein mag, alles richtig gemacht, um für sein Festival die rechte Aufmerksamkeit zu erlangen, gleich zu Beginn. Aber weil Frémaux ein Mann der Superlativen ist und gar nicht genug von (männlichen) Hollywood-Helden bekommen kann, überreichte man in Cannes zum Auftakt dem 78-jährigen Michael Douglas eine Goldene Ehrenpalme. Der Schauspieler nahm die Ehrung gerührt entgegen. Und der Jury-Präsident und zweifache Palmengewinner Ruben Östlund (auch so eine Erfindung von Frémaux, auch nicht frei von Spitzen) beschwörte das große Gemeinschaftserlebnis, das das Kino böte: "Wir alle sitzen in einem Raum und lassen uns inspirieren, anstatt vor unseren Handys zu sitzen und bloß Content zu konsumieren". Stehende Ovationen für Douglas, Applaus für Östlunds Aussage: Zumindest darin waren sich an diesem Abend alle einig.

Catherine Deneuve ziert dieses Jahr nicht nur das Festivalplakat, sondern kam auch persönlich nach Cannes.
- © Katharina Sartena
Uma Thurman hielt eine Ansprache zur Verleihung der Goldenen Ehrenpalme an Michael Douglas.
- © Katharina Sartena