Auf der einen Seite kunstvoll arrangierte Zeichentrick-Figuren, auf der anderen echte Schauspieler aus Fleisch und Blut. Auf der einen Seite kompakte 83 Minuten Spieldauer, auf der anderen episch lange 135 Minuten. Worum geht’s? Disney schickt zum zweiten Mal nach 1989 "Arielle, die Meerjungfrau" ins Kino.

Man sollte meinen, dass der direkte Vergleich klar zugunsten des mit allen Finessen der modernen Kinokunst produzierten Spielfilms ausfallen muss. Doch der Rezensent stellte verblüfft fest, dass ihn der angejahrte Zeichentrickfilm bis heute tiefer berührt als das Remake. Weil die Animations-Version kurzweiliger wirkt als der streckenweise recht träge dahinfließende Spielfilm. Und weil die surreale Saga vielleicht besser zum Trickfilm-Genre passt als zu einem Spielfilm, der zwangsläufig stets einen Hauch von Realismus ausstrahlt.

Ein Beispiel: Arielles beste Freunde sind eine Krabbe, ein Fisch und eine Möwe, die alle die Menschensprache sprechen. Im Trickfilm ist so eine Konstellation kein Problem. Aber wie in aller Welt soll man dieses Quartett in einem Spielfilm glaubhaft auf die Leinwand bringen?

Kassenschlager im Jahr 1989

Beide "Arielle"-Filme folgen dem Märchen "Die kleine Meerjungfrau" von Hans Christian Andersen. Die Titelheldin, Tochter des Meereskönigs Triton, verliebt sich in den Menschenprinzen Erik, den sie vor dem Ertrinken rettet. Um Erik an Land folgen zu können, schließt sie einen Handel mit der düsteren Zauberin Ursula ab. Für drei Tage wird Arielle in eine Menschenfrau verwandelt. In dieser Zeit muss sie von Erik geküsst werden, sonst fällt ihre Seele an Ursula. Als Einsatz lässt Arielle ihre betörende Stimme bei der Magierin zurück. Keine gute Idee, denn der nicht sonderlich helle Erik erkennt die Frau seines Lebens ohne ihre Stimme nicht wieder. Die Uhr tickt . . .

Das Animations-Musical "Arielle, die Meerjungfrau" wurde 1989 zum globalen Kassenschlager und brachte den Komponisten Alan Menken und Howard Ashman Filmmusik-Oscars ein. Für das Realfilm-Remake holte man jetzt zwei der bedeutendsten derzeit aktiven Musik-Spezialisten ins Team. Lin-Manuel Miranda (Produzent, neue Liedtexte) ist als Schöpfer des Musical-Megahits "Hamilton" der amtierende König des Broadway. Rob Marshall (Regie) inszenierte Musical-Welterfolge wie "Chicago" oder "Into The Woods" fürs Kino.

Schmalziger als Zeichentrick

Regisseur Marshall wählte für "Arielle" einen getragenen, eher langsamen Stil, der das Spiel immer wieder bremst. Dramatische Sequenzen - etwa die stürmische Seefahrt des Prinzen - gelingen ihm gut. Doch die emotionalen Szenen wirken viel schmalziger als im Zeichentrickfilm.

Lin-Manuel Miranda wiederum streut mit seinen Arbeiten am Soundtrack fröhlichen Latin-Klang ins Geschehen. Genial ist der Kunstgriff, die zwischenzeitlich verstummte Arielle in ihren sprach- und gesangslosen Szenen wenigstens fürs Publikum hörbar zu machen - mit Musik aus dem Off.

Die 23-jährige Halle Bailey ist als neue Arielle die Entdeckung des Films. Mit großer Gesangsstimme und überbordendem darstellerischem Talent spielt sie berühmte Kollegen wie Javier Bardem (Triton) oder Melissa McCarthy (Ursula) an die Wand. Und sie betört nicht nur den schönen Erik (Jonah Hauer-King), sondern auch das Publikum.

Allerdings wurde die Tatsache, dass Miss Bailey einen kaffeebraunen Teint besitzt, in den USA zum Auslöser einer unverhohlen rassistischen Debatte. Kommentar überflüssig: Wer so engstirnig und böse denkt, demaskiert sich selbst.