Kult-Filmemacher Abel Ferrara, 60, erhielt in Locarno einen goldenen Ehrenleoparden für sein Lebenswerk. Die "Wiener Zeitung" traf den "Bad Lieutenant"-Regisseur zum Interview. Dabei bewies er auch seine Musikalität.

Wiener Zeitung: Mr. Ferrara, was bedeutet ein Ehrenpreis für einen Filmemacher?

Abel Ferrara: Das ist eine gute Frage. Ich will damit sicher nicht angeben. Ich lebe ja nicht für Preise. Außerdem bekomme ich ja nicht so viele. Es ist Teil des ganzen Spiels. Man macht ja Filme, damit sie gezeigt werden. Aber im Grunde ist es mir egal, wo meine Filme gezeigt werden oder ob sie jemandem gefallen. Klar will man Geld verdienen, aber abgesehen davon…

In vielen Ihrer Filme spielt Religion eine große Rolle, auch Ihre eigene katholische Erziehung. Wie sehen Sie das im Rückblick heute?

Ich habe dazu einen spirituellen Zugang. Ich meine, über Jesus Christus zu erfahren,  ist nicht das Schlimmste auf der Welt. Ich bin in einem Kloster-Internat aufgewachsen, mit 50 anderen Jungs und eingesperrt von Nonnen. Heute sind viele aus bewusster Entscheidung Atheisten – und es wundert oft nicht, sieht man sich die Vorkommnisse an. Aber für mich geht es im spirituellen Sinn um die Fragen, Wer bin ich, Wo gehe ich hin, Was tue ich, Was lebe ich für ein Leben, Wer bin ich in Beziehung mit den Menschen, die ich liebe oder mit allen Menschen. Diese Fragen bestimmen auch meine Filme, sie handeln davon, egal welche Religion darunterliegen mag. Man kann kein Thema forcieren, und die Kamera lügt nicht. Die Kamera wird immer reflektieren, was man ist.

An einem Punkt der Lebenswerk-Ehrung, wissen Sie da, wer Sie sind?

Nein. Man arbeitet immer weiter und weiter, ich bin nicht an einem Punkt. Ein Lebenswerk-Preis, was soll das eigentlich? Solange man lebt, kommt dieser Preis doch immer zu früh. Vielleicht werde ich ja noch einmal einen bekommen.

Welcher Film Ihrer Karriere hat Ihnen am meisten Freude gemacht?

Alle Filme bringen eine gewisse Freude mit sich, weil man etwas fertigstellt. Das kann süchtig machen, etwas anzufangen und solange durchzustehen, bis man ein Ergebnis hat, einen Traum, eine Vision zu haben und zu erleben, wie sie realisiert wird, bis zum Ende, das ist das beste Gefühl auf der Welt. Dann ist es im Prinzip egal, ob dieser Film gut ist, ob ihn jemand sieht, aber er ist fertig. Es ist einfach ein sensationelles Gefühl der Befriedigung.

Wie einen Berg zu besteigen.

Ich hab noch nie in meinem Leben einen Berg bestiegen.

Was empfanden Sie, als Sie 2008 erfuhren, dass ihr Klassiker "Bad Lieutennant" von Werner Herzog wiederverfilmt werden sollte?

Ich war wütend. Denn der Film wurde nicht vom Produzenten allein gemacht, der sich nun daran bereichern wollte, indem er die Rechte verkaufte. Ein ganzes Team wurde damit verraten. Ich verstehe ihn, aber es macht mich wütend.

Ihr neuer Film "4:44 - The Last Day On Earth" wird beim kommenden Filmfestival in Venedig im Wettbewerb laufen und handelt – wie viele Filme momentan – von den Themen Endzeit und Apokalypse. Warum glauben Sie, sind diese Themen momentan so populär?

Das kommt nicht so sehr aus inneren Überlegungen, denke ich, sondern aus Einflüssen von außen. Man hört an jeder  Ecke vom Weltuntergang und Klimakatastrophen, da ist es klar, dass sich solche Filme auftun, jeder ist Teil des Zeitgeists. Dasselbe galt zum Beispiel für die Zeit der Vampirfilme. Jeder geht mit dem kreativen Spirit.

Keinerlei Angst dahinter?

Vielleicht macht man die Filme ja auch, um keine Zeit für Angst zu haben.

Was erwartet uns in "4:44 - The Last Day On Earth"?

Es geht um ein Paar, Willem Dafoe und Shanyn Leigh. Sie leben in einem Loft in New York und erleben dort 12 Tage im Film. Sie sehen die Außenwelt hauptsächlich via das Internet, Nachrichten, Skype, etc. Der Film handelt  von ihrer Beziehung zueinander und wie sie als Paar dem Ende der Welt entgegentreten.

Sie haben nicht immer die Filme gemacht, die Sie machen wollten, sondern auch Auftragsarbeiten und TV-Serien, Hollywood-Kollaborationen inklusive. Bereuen Sie etwas?

Die Arbeit in Hollywood war finanziell ertragreich, aber emotional zerstörerisch. Das würde ich nicht mehr machen. Ich bin mit einer bestimmten Art von Filmen aufgewachsen, solchen, bei denen es nicht ums Geldverdienen ging. Diese Filme haben etwas mit mir gemacht, sie haben mich verformt und mir Träume gegeben. Hollywood nimmt Träume und mischt sie mit Geld, Business, das kann nicht funktionieren ohne hohen Preis, den man selbst dafür zahlen muss.

Am Ende des Gesprächs folgte Abel Ferrara noch unserer Aufforderung, ein paar Töne mit seiner Mundharmonika zu spielen, die er während des Interviews ständig in der Hand hielt.