
"Meine Arbeiten bezeichnet man gemeinhin als vaginal, was die meisten Männer verwirrt", erklärt die feministische Künstlerin Maude (Julianne Moore) dem Dude (Jeff Bridges) im Film "The Big Lebowski". "Das Wort alleine bringt einige Männer schon aus dem Konzept: VAGINA!" - "Ah ja?", gibt sich der Dude überrascht, und Maude antwortet: "Ja, sie hören es nicht gern und finden es schwierig, es auszusprechen."
Dabei ist Verwirrung noch die mildeste Form der Destabilisierung, die Männer angesichts einer Vagina erfahren mögen. In Ridley Scotts neuem Film "The Counselor" bekommt es Javier Bardem zum Beispiel richtiggehend mit der Angst zu tun, als sich seine Freundin Malika (gespielt von einer ewig athletischen Cameron Diaz) im Spagat und vor seinen Augen auf - nein: mit der Windschutzscheibe seines Ferrari befriedigt, während er, noch angeschnallt am Beifahrersitz, zusieht - zusehen muss.
Macht, Gier & Überleben
Es ist dies aus mehreren Gründen eine Schlüsselszene in einem Film, in dem es auch um Macht, um Gier und ums Überleben geht und zudem kommen hier einige Referenzen zusammen, nicht nur die sexuelle Metaphorik aus Ridley Scotts "Alien" betreffend, in der zum Beispiel Kane mittels eines "Facehuggers" vom weiblichen Alien gleichermaßen vergewaltigt wird, was durchaus als Vergeltungsschlag gewertet werden kann, bedenkt man, wie in vergleichbaren Genrefilmen üblicherweise sexuell verletzbare Frauen von männlichen Monstern überfallen werden.
Später in "The Counselor" wird Bardem alias Reiner seinem Vertrauten, dem Anwalt, dem "Counselor", der weiter keinen Namen trägt, aber von Michael Fassbender verkörpert wird, von diesem Erlebnis erzählen. Immer noch schockiert wird er sein, ratlos und in seinem Innersten - er kann nicht genau sagen, wo - tief erschüttert. "Diese Frau ist unvorhersehbar. Und sie weiß alles", wird er sagen und dabei sein Gesicht dümmlich wirken lassen und den abermals schrecklichen Haarschnitt, den er in einer Rolle zu tragen hat, voll zur Geltung bringen. Gnadenlos wie seine Frisur war Bardem nämlich auch als Auftragskiller in "No Country For Old Men", den die Brüder Joel und Ethan Coen nach dem Roman von Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy verfilmten, aber ebenso ratlos wie Möchtegern-Macho Reiner wirkt Regisseur Ridley Scott über weite Strecken im Umgang mit dem textlichen Material, das ihm hier ebenfalls McCarthy zur Vorlage überlassen hat.
Es ist das erste Mal, dass der Autor McCarthy einen Text geschrieben hat, der von vorneherein zur Verfilmung bestimmt war, und man kann das nicht Drehbuch nennen. Es spielt dabei keine große Rolle, was hier passiert, sondern vielmehr, wie es passiert: Drogenhandel, Erpressung und undurchsichtige Machenschaften zwischen dem titelgebenden Counselor, der sich mit irgendetwas verkalkuliert hat und nun Geld für ein Leben mit seiner unschuldigen Verlobten (Penélope Cruz) braucht, dem Fadenzieher Reiner und der humanisierten Schachfigur Westray (Brad Pitt) konstituieren einen metaphorischen Sumpf im gleißenden Sonnenlicht an der Grenze zu Mexiko, in dem die Figuren ungeniert philosophisch und in Aphorismen sprechen, während sich die Schlingen um ihren Hals langsam aber sicher (sowie fallweise buchstäblich) zusammenziehen. Ganz in der Tradition von McCarthys "Border"-Romanen, bewegt sich auch diese Geschichte sowohl in einem Grenzland als auch an den Grenzen narrativer Konventionen - bis hin zur Umsetzung durch Scott, der hier im Mainstream-Genre es wagt, dem Publikum einen abstrahierten Plot ohne Erklärungen zuzutrauen. Das funktioniert nicht, weil Scott schließlich doch zu viele Kompromisse macht, aber interessant ist, welche Parallelen und welche Unterschiede sich hier zwischen den Filmen von Scott und dem literarischen Werk von McCarthy erschließen.
Philosophie des Banalen
Psychologie, Reflexion und Innenschau findet man weder bei Scott noch in McCarthys Büchern. Das macht McCarthys Werke schwer lesbar, vor allem die früheren, aber er beabsichtigt damit keine künstliche Komplexität, vielmehr entsteht diese automatisch aus einem pessimistischen Individualismus. Einer der Gründe, warum McCarthy seine Erzählachsen nicht von einem Fixpunkt aus entwirft, liegt in einem Grundmisstrauen Autoritäten gegenüber, auch formal gesprochen. Sein Sprachrhythmus besteht in Brüchen, seine Figuren halten ewige philosophische Monologe über scheinbar Banales, sein Blickwinkel ist auktorial, also allwissend, und sehr oft scheinen seine Beschreibungen der Realität entnommen. Regisseur Scott findet in "The Counselor" dafür keine Entsprechung, außer sich, ebenso wie McCarthy, emotional zu distanzieren.
In der in den 1940er Jahren angesiedelten "Border"-Trilogie ist der Cowboy für McCarthy eine anachronistische Figur und ein archetypischer Protagonist. In "The Crossing" ("Grenzgänger", 1994) zum Beispiel zieht ein Junge mit einer Wölfin durch die Steppe, bis sie eingefangen wird. Zivilisation ist bei McCarthy ein Übel. Sie ist zerstörerisch und die Zähmung der Natur ist bei ihm sinnbildlich für den Betrug der amerikanischen Landnahme. Das Schlechteste, das die Natur hervorgebracht hat, ist bei McCarthy der Mensch, und fast kann man es ihm in dieser Hinsicht positiv anrechnen, dass in seinen Romanen Frauen bisher keine Rolle spielten. Nun aber arbeitet McCarthy zum ersten Mal an einem Roman mit einer weiblichen Hauptfigur, und sein Text zu "The Counselor" wirkt da wie eine Vorbereitung.