Sandrine Kiberlain (Mitte) war "die Neue" im Schauspieler-Ensemble von Alain Resnais. - © Stadtkino
Sandrine Kiberlain (Mitte) war "die Neue" im Schauspieler-Ensemble von Alain Resnais. - © Stadtkino

Berlin. Sandrine Kiberlain ist gerade die Ehre zuteil geworden, als neues Mitglied der "Resnais-Familie" in deren Reihen zu spielen, da war die Freude darüber auch schon wieder vorbei: Alain Resnais, dieser Großmeister des Kinos, brachte bei der diesjährigen Berlinale im Februar mit "Aimer, boire et chanter" seinen letzten Film heraus, ehe er kurz darauf, am 1. März, im Alter von 91 Jahren starb. Resnais, der über viele Jahre mit den immer gleichen Darstellern arbeitete, darunter André Dussollier, Sabine Azéma oder Hippolyte Girardot, gab Kiberlain für sein letztes Projekt sein Vertrauen, wie die 46-jährige französische Schauspielerin uns beim Interview in Berlin erzählte.

"Wiener Zeitung": Es war durchaus unüblich für Alain Resnais, seine Stammspieler um ein neues Gesicht zu erweitern. Wie haben Sie sich da eingefügt?

Sandrine Kiberlain: In der Tat, ich war wirklich die Neue im Kreise dieser Resnais-Familie, Alain hat ja immer dieselbe Truppe von Schauspielern besetzt. Für mich bedeutete das zunächst, sich wirklich auf Alain als Menschen einzulassen und ihn zu verstehen, denn man kann nicht mit einem Regisseur arbeiten, der nicht zu 100 Prozent davon überzeugt ist, dass man in die Rolle passt. Ab dem Moment, ab dem er mich besetzte, wusste ich: Jetzt gehöre ich auch zu dieser Familie dazu. Leider wird es nun keine Möglichkeit mehr geben, diese Familie in Form eines neuen Projektes zusammenzubringen.

Wie hat Resnais das Theaterstück von Alan Ayckbourn, auf dem der Film basiert, zusammen mit Ihnen erarbeitet?

Alain gab uns das Stück zu lesen und bat uns, unsere Charaktere auf Basis des Stücks zu beschreiben. Ich habe von meiner Figur eine Zeichnung angefertigt, weil ich wusste, dass Alain so etwas mochte. Er war sehr neugierig auf mich und meine Vorstellungen, und ich habe mit ihm an der Figur gearbeitet, ohne das Stück dafür wirklich durchgelesen zu haben, sondern auf der Basis unseres ersten Treffens. Es fühlte sich alles sehr natürlich an, die Art, wie wir das erarbeitet haben. An unserem letzten Drehtag sagte Alain zu mir: "Wir sind jetzt über unsere Herzen miteinander verbunden." Und da gab ich ihm vollkommen recht.

Es scheint, als hätte sich dieser Mann in seiner Arbeit trotz seines hohen Alters die Frische und Jugendlichkeit erhalten.

Je älter Alain wurde, desto jünger wurde er. Das klingt widersprüchlich, aber Alain hat immer gesagt: So etwas wie das Alter gibt es gar nicht. Ich selbst fühlte mich in dem Film und durch den Film jung, und der jüngste am Set war Alain Resnais. Er ist verrückt und wahnsinnig kreativ gewesen. Bei unserem ersten Treffen wirkte er müde auf mich, aber als ich dann am Set war, erlebte ich einen Mann, der mindestens 40 Jahre jünger wirkte, als er war, weil er da in seinem Element zwischen all seinen Träumen, Gefühlen und Geschichten war und in sie eintauchen konnte.

"Aimer, boire et chanter" besitzt eine große Prise britischen Humors.

Das haben Sie recht. Alain wollte, dass wir uns sehr britisch geben, weil die Vorlage ja von Ayckbourn stammt. Auch die Ausstattung im Film stammte aus England. Die Zigaretten, die wir rauchten, die Teetassen, unsere Socken - alles aus England. Wir sollten in unseren Rollen so nah wie möglich an das britische Lebensgefühl herankommen. Das hat uns gar nicht limitiert, im Gegenteil: Es war eine große Freiheit, diese Lebensart zu entdecken.

Die Berlinale zeichnete Resnais mit dem Silbernen Bären für neue Perspektiven in der Filmkunst aus. Was trieb ihn an?

Resnais hat sich seine Neugier niemals nehmen lassen. Er war nie dieser alte, weise Mann, der in der Ecke sitzt und über das Leben sinniert. Er war eher wie ein junger, ungestümer Bub, der sich für alles und jedes interessierte. Er interessierte sich für die Menschen, er wollte immer alles ganz genau wissen, und seine Leidenschaft waren die Frauen und die Filme. Das Funkeln in seinen Augen, wenn er neue Geschichten hörte, werde ich nie vergessen.