Kürzlich erschien im Zeittotschlag-Onlinemagazin "Buzzfeed" ein Artikel mit dem Titel: "Warum Cinderellas gute Fee eigentlich die schlechteste Fee war." Untertitel: "Bibbidi-bobbidi-flop." Der Autor gibt da amüsant aufgebracht seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass diese gute Fee jahrelang zuschaut, wie Cinderella von ihren Stiefschwestern und ihrer Stiefmutter misshandelt und eingesperrt wird, und erst gemütlich auftaucht, wenn Cinderella nicht auf einen Ball gehen kann. Und dann, so der echauffierte Autor in Blockbuchstaben der Maximalerregung: "Findet sie nicht einmal ihren Zauberstab!!!" Der Artikel ist bunt illustriert mit Bildern der rundlichen magischen Figur aus dem berühmten Disney-Zeichentrickfilm. Die mit lakonischen Zusätzen garniert werden wie: "Ganz offensichtlich betrunken".

Dieser Artikel ist durchaus beispielhaft dafür, wohin der Trend in der Rezeption von Märchen derzeit geht. Natürlich gibt es weiterhin die Fraktion, die die Grimmschen Erzählungen in einer politisch-korrekten Stromlininenform vorziehen würde und das psychische Wohl des kindlichen Publikums als Argument heranzieht. Und damit, das nur nebenbei, die durchanalysierten tiefenpsychologischen Entwicklungs-Implikationen mal eben wegwischt. Die witzige "Buzzfeed"-Polemik entstammt allerdings der respektlos zerpflückenden Schule, die aber auf einer fundamentalen Liebe zur Materie fußt. Und auf einer Kenntnis der Märchen durch den ausgesprochen nachhaltigen Disney-Filter.

Nicht nur angezuckert


Dass der US-Unterhaltungskonzern zum Chefvermittler für Märchen aller Art wurde, liegt schon in einer Vorliebe von Walt Disney begründet. Die nährte sich aber vor allem daraus, dass Märchen rein rechtemäßig ein pragmatischer Filmstoff sind: keine lästigen Diskussionen mit Autoren. Disney zog übrigens meist die französischen Fassungen von Charles Perrault jenen der Grimm-Brüder vor. Die Tradition wurde weitergeführt und so prägend für die DNA von Disney, dass sogar das Logo aus einem Märchen stammt: Das berühmte Schloss, das vor jedem Film auftaucht, ist "Cinderella-Castle".

Längst ist Disney aber nicht mehr nur für Staubzucker-Märchen bekannt. So ist es nur konsequent, dass Disney dieser Tage im Abstand von nur wenigen Wochen zwei grundverschiedene Märchenadaptionen in die Kinos bringt. Bereits angelaufen ist das düstere Musical "Into The Woods", nächste Woche folgt ihm das Edelkitsch-uvre "Cinderella". Der Unterschied zeigt sich schon in der Intro: Während sich bei "Cinderella" fröhliche Vögel über dem Logo-Schloss erheben, friert bei "Into the Woods" eine gruslige Eiskuppel darüber.