Im chinesischen Internet darf man neuerdings keine Banane mehr verzehren. Also man darf schon, solange man sich dabei nicht zu "verführerisch" geriert. Und sich womöglich vorher ekstatisch entkleidet. Das klingt absurd und hat für viel Spott, Häme und Bangen um die anderen phallischen Obst- und Gemüsesorten gesorgt. Es ist aber auch ein Symptom unserer übersexualisierten Ära, wenn schon eine harmlose Banane das Maß voll macht.
Zu Marilyn Monroes Zeiten wäre das kein Thema gewesen. In den 1950ern und 1960ern war Sexualität weit davon entfernt, dermaßen omnipräsent zu sein wie heute. Damals wurde noch nicht jedes noch so abwegige Produkt mit einer nackten Frau beworben - vom Burger bis zum Sarg. Für die Monroe war das ein klarer Vorteil. Nur in einer verklemmten, puritanischen Gesellschaft war es möglich, mit, objektiv betrachtet, so simplen Reizen so nachhaltig Karriere als Sexsymbol zu machen. Und das großteils bekleidet. Es ist eigentlich eine einfache Formel: Im Sexsymbol-Lotto hat man schon einmal mindestens einen Vierer, wenn man einen großen Busen hat. Den konnte Monroe vorweisen. Eine üppige Hüfte mit schlanker Taille ist ein Upgrade auf die höhere Gewinnklasse. Volltreffer, wenn man noch schön gelockte blonde Haare und einen ständig halbgeöffneten, rotgeschminkten Mund hat.
Sex-Idol mit amputierter Brust
Heute würde sie damit nicht weit kommen. Der laszive, halbgeöffnete Mund ist auf Fotos, unabhängig ob es sich um Werbung handelt oder private Inszenierung, mittlerweile ungefähr so verbreitet wie Bananen in der Billa-Obstabteilung. Es sollen schon ganze Mückenspezies ausgestorben sein durch diese neue Gefahrenzone.
Wer sind denn nun die Sexsymbole unserer Gegenwart? Eine schnelle Google-Recherche erbringt den Namen Angelina Jolie in überproportionaler Häufigkeit. Ein durchaus unterschiedlicher Typus Frau im Vergleich zu Marilyn Monroe. Jolie hat zwar zu Beginn ihrer Karriere mit fetisch-ähnlichen Sex-Episoden auf sich aufmerksam gemacht. Heute ist sie aber mehrfache Mutter mit humanitärem Engagement und einer öffentlich gelebten Krankenakte. Nach ihrer Operation, bei der sie sich die Brust entfernen hatte lassen aus Angst vor vererbbarem Brustkrebs, wollte der "Playboy" sie sogar als Nacktmodell engagieren. Eine gewagte Idee und Zeichen dafür, dass der Begriff "Sexsymbol" heute wirklich großzügig ausgelegt werden kann. Jolie willigte allerdings niemals ein. Dienstlich gesehen machte Jolie zuletzt weniger Schlagzeilen. Monroe und sie verbindet freilich die bedachte Partnerwahl: Jolie hat sich zwar keinen Präsidenten geangelt, sondern nur einen anderen Hollywood-Superstar. Der hat sie aber wenigstens geheiratet und hielt sie nicht als versteckte Mätresse. Oder ließ sie gar ermorden, wie manche Monroe-Kennedy-Verschwörungstheoretiker glauben.
Halbnackt durchs TV prollen
Eine stattliche Liste von Sexsymbolen findet sich auch auf Wikipedia - nach Jahrzehnten gegliedert. Da sieht man, dass in den 30er bis 50er Jahren die Auswahl noch recht überschaubar war. Je massiger die Massenmedien wurden, desto mehr ist die Sexsymbolik auch explodiert. Die Liste der 2010er-Kandidaten umfasst bereits jetzt, mitten in der Dekade, 98 Namen. Um genau zu sein: 98 großteils unbekannte Namen. Im Vergleich dazu hatte die Monroe laut Wikipedia zu ihrer Zeit kärgliche Konkurrenz.
Der oberste Name auf der aktuellen Liste lautet Farrah Abrahams, es handelt sich um die Protagonistin einer US-Reality-TV-Show. Polemisch, aber wahr: Heute reicht es, knapp bekleidet durchs Unterschichtenfernsehen zu prollen, um als Sexsymbol zu gelten. Das ist übrigens nicht nur in den USA so. Dass die ausufernde Menge natürlich auch einen hohen Grad an Austauschbarkeit signalisiert, beweist ein Blick in die Liste der vorhergehenden Dekade. Oder kann sich noch jemand an Cheryl Cole erinnern?
Kurioserweise stößt man auf der 2010er-Liste aber auch auf Christina Hendricks, die in der Kultserie "Mad Men" mit monroesken Kurven bekannt geworden ist. Ändert sich also doch nicht so viel? Tatsächlich mögen sich wohl Schönheitsideale ändern - von den Üppigkeiten der 50er zu den Twiggy-Androgynismen der 70er zum Junkie-Chic der 90er. Die erotischen Signale bleiben aber immer gleich. Was sich ändert, sind die Präsentationsformen und die Inszenierung.
Man kann sich das in etwa so vorstellen: Würde eine Marilyn Monroe heute ihren Ruf als Sexbombe zementieren wollen, müsste sie sich wahrscheinlich verhalten wie Kim Kardashian. Die Dame ist nebenberuflich in einer TV-Dokusoap beschäftigt, hauptberuflich widmet sie sich der Vermarktung ihres Hinterteils. Dafür nutzt sie behände die sozialen Medien, vor allem die Bilderteilform Instagram. Diese wäre auch Marilyn Monroe, die dem Exhibitionismus durchaus nicht abgeneigt war, sehr entgegengekommen. Sie würde sich dann wohl mit Hashtags wie #readingabook schmücken, um ihren Intellektuellenstatus als Gemahlin eines Schriftstellers zu unterstreichen. Oder vielleicht mit neckischeren Kommentaren wie #seethru die Fotos aus der letzten Fotosession, die sie nackt hinter einem Chiffonschal zeigen, ihre erotische Seite promoten. Denn die Monroe war in ihrem Gespür für Selbstvermarktung verblüffend modern. Ihr fehlten nur die Mittel und manchmal auch die Unabhängigkeit.