Emma Thompson bei der Filmpremiere in Berlin. - © Katharina Sartena
Emma Thompson bei der Filmpremiere in Berlin. - © Katharina Sartena

Sie ist das weltbekannte Gesicht von britischen Filmklassikern wie "Sinn und Sinnlichkeit" oder "Was vom Tage übrig blieb": Emma Thompson, 56 Jahre alt, gehört noch immer zu den beliebtesten Schauspielern der Insel und hat für ihren neuen Film "Jeder stirbt für sich allein" (derzeit im Kino) sogar ein paar Wörter Deutsch gelernt, weil sie darin eine Berlinerin spielt. Der Film von Vincent Perez basiert auf der Buchvorlage von Hans Fallada, der darin den authentischen Fall des Berliner Ehepaares Otto (Brendan Gleeson) und Elise Hampel (Emma Thompson) schildert, die zwischen 1940 und 1942 im NS-Berlin mit selbstgeschriebenen Postkarten gegen den "Führer" wetterten und auf diese Weise subtilen, aber gefährlichen Widerstand übten. Nach dem Verlust ihres Sohnes an der Front war ihnen dieses lebensgefährliche Protestieren gegen das Hitler-Regime aber ein Bedürfnis, für das sie jede Gefahr in Kauf genommen hätten.

"Wiener Zeitung": Frau Thompson, in "Jeder stirbt für sich allein" spielen Sie und Brendon Gleeson ein Ehepaar im Berlin der 40er Jahre, das stillen Widerstand gegen das NS-Regime probt. Was sind das für Menschen?

Emma Thompson: Es sind Arbeiter, die mit nichts ins Leben gestartet sind. Sie haben sich etwas erarbeitet, eine Familie gegründet und einen Sohn großgezogen. Dann fällt der Sohn im Krieg und sie verstummen seelisch und auch körperlich. Diese beiden Menschen haben aus dieser sehr trüben Perspektive heraus begonnen, Widerstand zu leisten. Sie haben ihr Kind verloren, und das war der einzige Grund, weshalb sie noch zusammenlebten. Der Schmerz hat sie zusammengeschweißt. Denn die Ehe war zu diesem Zeitpunkt schon ruiniert. Und dann hatten sie den Einfall, mit Postkarten leisen Widerstand zu üben, das war für sie wie eine Erlösung - wie, als würde man Menschen, die schon tot waren, wieder zum Leben erwecken. Und das Ganze entwickelt eine solche Wichtigkeit und Dynamik, dass sie sich lebendiger denn je fühlen und ihre Beziehung besser denn je ist.

Welchen Eindruck hatten Sie von den Deutschen, dem "Tätervolk", als Sie im Nachkriegs-England aufwuchsen?

Ich bin 1959 geboren, und für uns waren natürlich die Deutschen die Bösen, denn damit sind wir aufgewachsen, haben all diese Geschichten von unseren Eltern und Großeltern gehört und der Krieg war Teil meiner Kindheit. Auch alle Filme über das Thema dämonisierten die Deutschen. Für mich änderte sich alles schlagartig, als ich "All Quiet on the Western Front" las. Da geht es zwar um den Ersten Weltkrieg, aber die beschriebenen Leiden waren wohl ziemlich die gleichen. Ich fand also über die Literatur zur Wahrheit über den Krieg. Später habe ich viel zum Thema Nationalsozialismus gelesen, regelrecht verschlungen. Dieses Buch von Hans Fallada, über die Revolution einfacher Leute, war für mich daher geradezu eine Notwendigkeit.

Inwieweit ist "Jeder stirbt für sich allein" von seiner Thematik her auch ein aktueller Stoff?

Ich glaube, jetzt ist die beste Zeit, eine Geschichte des Widerstands zu erzählen, denn derzeit grassieren auf diesem Planeten so viele haarsträubende Dinge und so viele Lügen werden verbreitet, dass es nur gut ist, den Leuten zu zeigen, wie wichtig Widerstand sein kann. Es tut gut, von jemandem zu hören oder zu lesen oder zu sehen, der in einer ungerechten Zeit unbequem war, der Widerstand geleistet hat.

Sind Sie selbst ein sehr politischer Mensch?

Ja, auf jeden Fall. Ich stamme aus einer Schauspielerfamilie, da wurde zwar immer nur über das Theater gesprochen, und ich habe das Milieu von frühester Kindheit an kennengelernt. Meine politische Bildung bekam ich dann später, als ich in meiner Jugend mit Menschen zusammenkam, denen Politik sehr wichtig war. Ich bin der Meinung, dass alles im Leben politisch ist und dass Politik allgegenwärtig ist. Viele meiner Kolleginnen wollen in Interviews lieber nicht über Politik reden - das kann ich überhaupt nicht verstehen. Stellen Sie sich vor, bei diesen Interviews würden wir nur über Filme sprechen - wie langweilig (lacht).

Sie waren sehr oft in Historien-Filmen zu sehen. Spielte bei der Rollenwahl auch der politische Hintergrund eine Rolle?

Auf jeden Fall. Gerade bei realen Figuren habe ich als Schauspielerin versucht, alles über sie in Erfahrung zu bringen und mich intensiv einzulesen. Nehmen Sie zum Beispiel "Was vom Tage übrig blieb". Da recherchierte ich, wie viel Faschismus es in England gegeben hat. Über solche Sachen redet man nicht so gern bei uns. Aber ich weiß eben gern mehr über die Menschen, die ich spiele.

Befremdlich wirkt an "Jeder stirbt für sich allein" zunächst die Tatsache, dass der Film von Deutschen erzählt, die allerdings Englisch miteinander reden. Wäre es da nicht besser gewesen, den Film von deutschen Schauspielern spielen zu lassen?

Das war auch mein erster Gedanke, als ich das Buch gelesen habe. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass diese Story zwar zur NS-Zeit spielt, aber in Wahrheit überall auf der Welt passieren könnte. In Deutschland, in Japan, in Russland. Ganz egal. Außerdem ist der Film eine internationale Koproduktion, und da geht es um ganz andere Maßstäbe. Projekte werden irgendwann immer größer. Und dann muss auf Englisch gedreht werden, und dann braucht man Stars.