Es ist nur ein einziger, ein winziger Moment, in dem die Pariser Philosophielehrerin Nathalie Chazeneux die Fassung verliert, ihr also die Situation entgleitet, aber das sind nur Augenblicke, ehe sie sich wieder fängt. Gerade hat ihr ihr Ehemann nach jahrelanger Partnerschaft erklärt, dass er sie für eine andere verlassen wird.
Alles im Leben von Nathalie war bisher unter Kontrolle - und ist es auch nun wieder. Das makellose Dasein in einer chicen Pariser Wohnung mit Designermöbeln und Kunstzeitschriften auf dem Tisch. Die eigenen Kinder lange aus dem Haus, ein ehemaliger Schüler macht ihr Avancen, die sie platonisch erwidert. Eigentlich war doch alles gut, oder? Und eigentlich ist es noch immer gut.
Isabelle Huppert spielt diese Frauenfigur mit genau dem gleichen Grundsatz, wie sie schon seit 45 Jahren ihre Charaktere anlegt: Mit eiskalter Präzision und auf die Spitze getriebenem Minimalismus, bei dem nicht einmal der Mundwinkel verzogen wird, bringt Huppert das ganze Dilemma dieser Lehrerin auf den Punkt: Sie spielt eine Frau, deren gesamtes Leben, deren Existenz gerade den Bach hinuntergeht und die in diesem unendlichen Sog noch die Bewusstseinskontrolle behält und die Notbremse zieht.
"Alles was kommt" von Mia Hansen-Løve hat viele Momente, in denen eigentlich Verzweiflung liegen müsste, aber stattdessen serviert Huppert die Bandbreite von "Business as usual" bis zum Gefühlszustand "Teflon-Pfanne".
Nathalie hat in ihrer scheinbar ausweglosen Situation aber mit weiteren Unwegsamkeiten zu kämpfen: Ihre Mutter raubt ihr mit ihrer Lebensfremdheit den letzten Nerv, ihr Mann will ihre geliebten Philosophie-Bände mit in die neue Wohnung nehmen und ihr Verlag denkt darüber nach, Nathalies Bücher in geschmacklose Umschläge zu stecken oder gleich ganz aus dem Programm zu nehmen. All das erträgt Nathalie mit seltsam aufmerksamer Ruhe; niemals sieht oder hört man, wie es ihr wirklich geht. Huppert versperrt die Tür zum Innenleben ihrer Figur und hat den Schlüssel in die Seine geworfen. Nathalie tut einfach so, als ginge sie ihr Leben gar nichts mehr an.
Minimalismus dominiert
Auf diese Weise ist auch Mia Hansen-Løves Regie angelegt: Sie begleitet ihre Hauptfigur wie zufällig und unaufgeregt, ebenso minimalistisch und scheinbar desinteressiert; als wolle sie der Negierung eines Ist-Zustandes zusätzlich Bedeutungslosigkeit zuschreiben.
Später, als Nathalie in die Berge reist, um dort einen ihrer ehemaligen Schüler zu besuchen, wird ihr, der bourgeoisen Denkerin, klar, wie wenig sie doch tatsächlich von diesem Lebensereignis des Verlassenwerdens aus der Bahn geworfen wurde: Es ist, als hätte sie ihr ganzes Leben lang ohnehin nur für ihre Bestimmung gelebt, für das Lehren. Es ist, als hätte es alles andere gar nicht gebraucht. Das klingt nach einer sentimentalen Wendung. Doch Isabelle Huppert sagt das nicht. Sie zeigt es auch nicht. Sie hat nicht nötig, das zu spielen. Es ist da, dieses Gefühl, in ihren Augen.