
Es gibt einige brillante Szenen in Tizza Covi und Rainer Frimmels neuem Film "Der Glanz des Tages", aber eine ist definitiv die, in der ein ehemaliger Zirkuskünstler die lebensgroße Papp-Statue eines eitlen Burgschauspielers zu Messerwerf-Übungen zweckentfremdet: Die Realität durchlöchert hier das Image einer Darstellung - durch die Einwirkung eines anderen Performers. Konzepte von Bild und Abbild, Wahrnehmung und Wahrheit, sowie (der Konstruktion von) Identität und Ideal bohren sich hier ineinander. Hier erklärt die bodenständige Praxis der artifiziellen Theorie ganz unbeabsichtigt den Krieg, und freilich herrscht erst einmal totales Unverständnis auf beiden Seiten.
Wie auch schon in Covi und Frimmels "Babooska" und "La Pivellina" ist Walter Saabel der echte, ehemalige Bärenringer und Messerwerfer, der hier in einem fiktionalen Erzählgerüst seinen Bruder wiederfinden möchte und dafür Station in Wien macht: Sein Neffe Philipp Hochmair (gespielt von Hochmair selbst) ist Theaterschauspieler, der in Wien gerade den Woyzeck gibt; er könnte wissen, wo sich der Bruder aufhält.
Dokumentarisch rigoros
Die zwei Ungleichen, aber in ihrem Narzissmus, ihrer Unsicherheit, ihrem Freiheits- sowie Geltungsdrang doch sehr Ähnlichen, nähern sich über den Zeitraum einiger Tage an; Covi und Frimmel fangen das in ihrer charakteristischen, fast dokumentarischen Rigorosität detailliert und nuanciert ein. Eine kleine Nebengeschichte, die sich um Nachbarn im Haus dreht, die mit drohender Abschiebung zu kämpfen haben, hätte das Gerüst eventuell nicht gebraucht, wenn auch diese Szenen zur differenzierteren Charakterisierung der beiden Hauptfiguren dienen. Am stärksten nämlich lebt der Film vom Zusammenspiel Saabel/Hochmair: In größtenteils improvisierten Dialogen agieren beide selbstreflexiv und sehr ehrlich, was ihre jeweils fiktionale Rolle mit ihrer realen Persona auf eine narrative Parallel-Ebene hebt und somit auch feine Situationskomik generiert, etwa wenn Hochmair in voller, glitzernder Bühnenmontur nach der Aufführung von Handkes "Untertagsblues" am Wiener Akademietheater in ein Beisl geht - man is(s)t ja sonst nichts; oder wenn er zuhause seinen Text lernt und der bei ihm auf der Couch nächtigende Saabel ihn korrekturhört. Natürlich nicht, ohne ihn bei jedem zweiten Wort mit "sachdienlichen" Hinweisen zu unterbrechen.
Auf unsichtbaren, aber durch Covi und Frimmels geschickte Konzentration auf wesentliche Gesten, Blicke und Dialoge fühlbar gemachten Verbindungslinien zwischen Zirkusarena, Theaterbühne, realem Setting und fiktionaler Welt, entsteht ein Film als ein weiterer "Schau"-Platz von Sein und Schein.
Natürlich hat Hochmair auch schon einmal den Torquato Tasso in Goethes gleichnamigem Stück gespielt, wie er hier auch "seinem Onkel" Walter Saabel erzählt. "Ich bin vom Glanz des Tages überschienen, ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr", heißt es da einmal. Und das gilt - nicht nur für diese beiden Verwandlungskünstler - wohl auch sonst ziemlich oft.