Es gibt einen kurzen Moment im Laufe von Ruth Maders neuem Film "Life Guidance", da schießt dem aufmerksamen Zuschauer ein Gedanke durch den Kopf, nämlich der Gedanke, dass Gedanken aller Knechtung zum Trotz letztlich frei bleiben und dass diese Gedanken gar niemand wissen muss als man selbst. Es ist wie eine kleine Befreiung, eine innerliche Hormonausschüttung, die einem dann ein kurzes Glücksgefühl beschert, weil man etwas, das man ohnehin gewusst hat, endlich einmal spürt.
So ähnlich geht es auch dem Protagonisten von Maders zweitem Spielfilm "Life Guidance", der in naher Zukunft spielt: Alexander, mit stoischem, aber wachem Blick gespielt von Fritz Karl, ist Teil einer Mittelschicht, die es sich in ihren sterilen Designer-Wohnhäusern bequem gemacht hat und die unangreifbar scheint, solange sie "funktioniert": Der absolute Kapitalismus draußen in der Welt ist der Motor für diese Menschen, ihm ordnen sie alles unter. Aber wehe, einer von ihnen gerät aus dem Takt: Dann setzt es drakonische Maßnahmen. Alexander findet nämlich, dass es den optimierten Menschen, nach dem hier alles strebt, so nicht geben kann; das wird ihm nur allzu deutlich, als er einmal in Tränen ausbricht und sein kleiner Sohn zu ihm sagt: "Das ist aber nicht optimal, Papa".
Alexanders Ausbruchsversuche aus dem System sind eigentlich keine, er begibt sich mehr auf eine Art Sinnsuche, um hinter die Kulissen der schönen, optimierten Welt zu blicken. All jene, die nur wenig Geld erwirtschaften, dem Kapitalismus also zur Last fallen, werden in Schlafburgen untergebracht, die nicht zufällig aussehen wie die Gemeindebauten aus dem sozialistischen Wien der 1920er Jahre. Der Film betrachtet die Utopie des Sozialstaates als gescheitert, das wird hier überdeutlich.
Zugleich gerät Alexander ins Visier der Agentur "Life Guidance". Die kommt immer dann auf den Plan, wenn einer der Mittelständler beginnt, am Lebenskonzept zu zweifeln. "Life Guidance" soll die Abtrünnigen mit freundlicher Bestimmtheit (man will das Wort Zwang nicht gebrauchen) dazu bringen, zurück in die Spur zu treten und weiterzumachen in der uniformierten Masse.
Eleganter Thriller
In Ruth Maders Film schwingen viele Ideen aus George Orwells "1984" mit, zugleich entwirft Mader einen hocheleganten Thriller, der um seine Originalität nicht fürchten muss. Besonders gut arbeitet Mader das Unbehagen heraus, unter dem ihr Protagonist leidet: Es ist das Spiel mit der streng durchdesignten Wohnidylle, hinter der das Konzept des völlig gläsernen Menschen steht, der sich diese Durchsichtigkeit sogar höchstselbst gewünscht hat. Längst haben wir bereitwillig unsere Daten an Internetriesen wie Facebook oder Google verschenkt, und die zimmern uns daraus unsere ganz eigene Wahrnehmungsblase mit "optimierten" Inhalten. "Life Guidance" denkt diesen Zustand zum Exzess weiter und geht darob als erschreckend naheliegende Dystopie durch. Mader versteht es, auch dank der meisterlichen Fotografie von Kamerafrau Christine A. Maier, ihrer Geschichte ein visuelles Korsett anzuziehen, innerhalb dessen sich die ganze Dramatik der Hauptfigur entfalten kann. Nur darüber hinaus kann Alexander nie kommen: Er ist und bleibt in seiner kruden Kapitalismus-Blase das, was wir alle sind: lebenslang Gefangene. Nur das Denken kann uns niemand verbieten.