Wenn Mariss Jansons Hand an Musik von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) legt, trägt dieser Zugriff das Gütesiegel des Experten: Kaum einer ist so firm im Werk des Sowjetkünstlers wie sein einstiger Landsmann aus dem heutigen Lettland. Jansons kannte den Tonsetzer nicht nur persönlich, er hat als Assistent für dessen Leibdirigenten Jewgeni Mrawinski gearbeitet. Jansons Gesamtaufnahme der Symphonien setzt Maßstäbe an Detailsinn und Dringlichkeit.
Eine Quelle für diese Intensität findet sich freilich in Schostakowitschs Biografie: Stalin hat den Komponisten mehr als einmal mit dem Gulag bedroht. Es spricht einiges dafür, dass sich die Zehnte Symphonie als wortlose Überlebensfeier lesen lässt: Monate nach Stalins Tod uraufgeführt, blühen die klingenden Künstlerinitialen D, Es, C, H im Finale immer freier auf.
Mariss Jansons, 76 und nach einem Krankenstand mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in Wien, legt den Einstünder heute erstaunlich ausgewogen an: Er hält die Tempi flüssig, doch frei von Eile und romantischen Wallungen. Die kolossalen Marschpassagen dürfen donnern, doch ohne die gewohnte, schrille Stahlwucht: Jansons Klangbild wahrt Rundung und Transparenz und wird doch zum Trägermedium für Trauer, Grauen und Triumph.
In der ersten Konzerthälfte hat Rudolf Buchbinder ein weiteres Mal seine Beethoven-Kompetenz belegt: Beschwingt begleitet, durchmaß er das Zweite Klavierkonzert mit apollinischer Abgeklärtheit und steigerte sich im Finale zu keckem Witz, der dem Saal den Beifall aus den Händen riss.