Ins Zentrum der Öffentlichkeit rückte er 2012: Der türkische Pianist Fazil Say wurde in seiner Heimat wegen der Verletzung religiöser Gefühle angeklagt. Dem atheistischen Klassikstar und Komponisten drohten 18 Monate Gefängnis wegen seiner Statements im Internet. Nach langen Verhandlungen und öffentlichen Anfeindungen wurde das Urteil letztlich im Jahr 2015 aufgehoben. Heute, Mittwoch, gastiert der 50-Jährige im Wiener Konzerthaus.

"Beethoven hat den Swing entdeckt", meint Fazil Say - und will ihn darum auch so spielen. - © Marco Borggreve
"Beethoven hat den Swing entdeckt", meint Fazil Say - und will ihn darum auch so spielen. - © Marco Borggreve

"Wiener Zeitung":Herr Say, zum Beethoven-Jahr sind Sie einer der wenigen, die den gesamten Zyklus der 32 Klavier-Sonaten von Beethoven auf CD einspielen durften. Nur aus diesem Anlass?

Fazil Say:Das Jubiläum hat den richtigen Kick gegeben. Und mir Mut. Die Werke kenne ich seit meiner Kindheit. Sie sind trotzdem offene Rechnungen. Man will besser werden. Ich musste erst meine Methode finden. Übrigens waren mehr als 15 Sonaten dennoch neu für mich. Ich komme spät.

Worin besteht Ihre Methode?

Im Durchblick, den ich erstmals durch den gesamten Lauf der 32 Sonaten gewann. Erst jetzt habe ich Beethovens Fortschritt voll erkannt.

Worin besteht der?

In der Entdeckung des Orchesterklangs - fürs Klavier. Die frühen Sonaten lehnen sich noch recht eng an Joseph Haydn an. Präzision braucht man da. Das ändert sich mit der "Appassionata", der "Waldstein"-Sonate und erst recht der kaum manuell greifbaren "Hammerklaviersonate". Hier steckt ein Orchester im Klavier.

Sie waren stets ein sehr perkussiver, das Klavier als Schlaginstrument ansehender Pianist. Warum?

"Pulsiv" würde ich lieber sagen. Den Puls des Werkes zu treffen, ist ein "knallwichtiger" Punkt. "Rhythmische Melodie" nannte das Igor Strawinski. Beethoven darf nicht wie Schubert singen, auch nicht wie Haydn. Natürlich, mein vielleicht größter pianistischer Einfluss ging von dem Jazzpianisten Art Tatum aus. Beethoven hat den Swing entdeckt: Also muss ich ihn auch so spielen.

Beethoven gilt als politischer Komponist. Zu Recht?

Ja. Schon deswegen, weil er erstmals den Musiker als Einzelgänger repräsentiert. Als Künstler, der vom Volk lebt. Noch bei Haydn war das anders. Er war Auftragnehmer eines Dienstherrn. Und musste politisch "passen". Beethoven dagegen ist ein Pionier und Einzelgänger-Typ, zugleich Auftraggeber seiner selbst. Schon das eröffnete ihm ganz andere politische, humanistische Perspektiven. Interessant ist, dass heutige Komponisten, auch ich, große Werke gleichfalls im Auftrag komponieren. Sie müssen davon leben. Da muss man sich die politische Bedeutung von Fall zu Fall neu erobern.