"Die Wunderkinder werden in der Regel Flachköpfe", hat Arthur Schopenhauer geschrieben. Jewgeni Kissin ist ein solcher Abstieg erspart geblieben: Der russische Pianist hat seine Karriere nahtlos fortgesetzt, nachdem er den Sakkos der Kinderabteilung entwachsen war, und füllt bis heute Konzertsäle. Wie am Donnerstag den Musikverein, wo auf dem vertrauten Haupt des 48-Jährigen - die Zeit vergeht! - erstmals eine graue Strähne aufblitzte.

Das Programm strotzte vor gewohntem Ehrgeiz: Kissin zelebriert Beethovens 250. Geburtsjahr mit einigen großen Brocken des Bonners. "Pathétique", "Waldstein"- und "Sturm"-Sonate, dazu die hochvirtuosen "Eroica"-Variationen: gewissermaßen eine Sperrzone für Hobbypianisten. Kissin, so scheint es, tut sich umso leichter, je mehr sich die technischen Probleme türmen: Die "Eroica"-Klangflut entsteigt dem Flügel mit einem Schwung, dass es eine Freude ist. Dabei fehlt es nicht an Feinsinn: Noch im dichten Notenwimmelbild hebt der Russe Details hervor, stuft seinen Anschlag ab, bahnt Stimmungswechsel an oder Ausbrüche. Wobei diese Ausbrüche massiv sind - ausgeführt mit einer Rammkraft, dass der Flügel darunter fast zuschanden geht. Es ist Kissins Eigenheit, den Donnerklang ebenso zu schätzen wie die Nuancen, darin liegt seine feinnervige Überwältigungskunst.
Fesselnder "Sturm"
Nicht jede Sonate glückt ihm indes ganz: Generell flott unterwegs, unterstreicht Kissin den Vorwärtsdrang der "Pathétique", lässt Zartes dabei aber etwas verblassen. Seine "Sturm"-Wiedergabe fesselt ungleich mehr: Nach einem Kopfsatz mit krachenden Brüchen gerät das Finale wie aus einem Guss und strotzt noch da vor Naturkraft, wo sich die Musik auf ein Säuseln zurückzieht. Am schönsten aber vielleicht der Schluss-Satz der "Waldstein"-Sonate - wenn das Thema wie ein Traumbild hereinschwebt und trotz Pedalnebels nicht zerrinnt. Zuletzt Zugaben, Applaus und ein Blumenstrauß von einem Buben, wohl ungefähr so jung wie Kissin an der Schwelle zum Ruhm.