Alfred Brendel, der heute seinen 90. Geburtstag feiert, legte die Latte der Interpretationsmöglichkeiten in schwindelerregende Höhen. Immer noch gilt: Man kann es anders machen als Brendel, aber nicht besser.
Brendel, geboren am 5. Jänner 1931 in Wiesenberg (heute Loučná nad Desnou, Tschechien), aufgewachsen auf der jugoslawischen Insel Krk, wo seine Eltern eine Pension betrieben, erhielt früh Klavierunterricht. 1943 übersiedelte die Familie nach Graz. Dort studierte Brendel am Konservatorium Klavier und Komposition. Sein wichtigster Lehrer war Edwin Fischer.
Brendels Durchbruch erfolgte, als er 1949 den Ferruccio-Busoni-Wettbewerb in Bozen gewann. 1950 zog Brendel nach Wien, Anfang der 1970er Jahre übersiedelte er nach Hampstead, London, wo er seither lebt. Brendels erster Ehe entstammt seine Tochter Doris, die als Folk-Pop-Rock-Musikerin und Sängerin der Band "The Violet Hour" Karriere machte, seiner zweiten Ehe entstammt sein Sohn Adrian, der als Cellist hervorgetreten ist.
Am 18. Dezember 2008 trat Brendel zum letzten Mal öffentlich auf: Im Wiener Musikverein interpretierte er das Jenamy-Konzert von Wolfgang Amadeus Mozart, es spielten die Wiener Philharmoniker unter Sir Charles Mackerras.
Intellektueller Musiker
Brendel gilt als intellektueller Pianist, als Verstandesmusiker. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Brendel versuchte, auch in Essays, das Wesen eines Komponisten zu erfassen und pianistisch umzusetzen. So begriff er Ludwig van Beethoven als Architekten, der seinen Ausdruckskosmos mit konstruktiven Kräften bündelt, während Schubert, so Brendel, ein "Schlafwandler" war, dessen musikalischer Fluss die formalen Grenzen überspülte. Dementsprechend betonte Brendel in seinen Interpretationen Beethovens oft kleinteilige konstruktive Elemente, während er Schubert auf weiträumige Entwicklungen hin anlegte.
Es gab also keinen "Brendel-Stil", sieht man von einer beispiellosen Klarheit des Anschlags und Genauigkeit im Detail ab, sondern ein Erfassen des kompositorischen Wesens, dem ein daran angepasstes interpretatorisches Konzept folgte. Seine in Einspielungen festgehaltenen Aufführungen von Beethoven und Schubert gelten denn auch als Meilensteine der Interpretationsgeschichte.
Während Brendel zu Beginn seiner Karriere auch die Musik des 20. Jahrhunderts favorisierte, nahm er von ihr später zunehmend Abstand. Lediglich Arnold Schönbergs Klavierkonzert blieb dauerhaft in seinem Repertoire. Auch mit den pianistischen Schlachtrössern aus Sergej Rachmaninows Werkstatt hatte er wenig am Hut. Lieber setzte er sich tiefgründig mit Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart auseinander und legte als einer der ersten Pianisten Einspielungen von Sonaten Joseph Haydns vor, die er als gewichtige Werke begriff - vielleicht ein wenig auf Kosten ihrer Leichtigkeit und ihres Witzes.
Skurrile Meisterwerke
Der "humorlose" Brendel ist dennoch ein Klischee. Es mag zwar stimmen, dass seine philosophischen Ansätze eher dem Ernst von Musik zugute kamen, aber der Witz Brendels äußert sich sowohl in einigen seiner Auftritte als auch speziell in seinen Gedichten. Tatsächlich sind Sammlungen wie "Fingerzeig", "Ein Finger zuviel", "Störendes Lachen während des Jaworts" und "Spiegelbild und schwarzer Spuk" keine Nebenprodukte einer primär musikalischen Laufbahn. Vielmehr müssen sie unabhängig von dieser als literarische Werke von hohem Rang angesehen werden. In diesen Gedichten verpackt Brendel seine Philosophie in skurrile Szenen. Staunen und Lachen dienen ihm als Türöffner für Erkenntnisse, als Anreiz, dem Leben Fragen zu stellen.
Der 90. Geburtstag Alfred Brendels ist somit nicht nur ein Feiertag für die musikalische Welt: Auch die Welt der Literatur möge anstoßen auf einen ihrer Großen der Gegenwart.