Mag sein, dass die Klassikwelt kapriziösere Köpfe hervorgebracht hat als Leif Ove Andsnes. Aber wenige Vertreter der Branche wirken auf Anhieb sympathischer. Schnörkellos in der Art, hingebungsvoll in der Sache, warmherzig, aber nicht hitzig: So wirkt der 52-Jährige im persönlichen Gespräch, und genauso arbeitet er an den Klaviertasten.
Und: Er ist einer, der sich gern ausführlich mit den Galionsfiguren seines Genres beschäftigt. Zum Beispiel mit Beethoven. Der trat - eine launige Anekdote - vor einigen Jahren unkonventionell in Andsnes Leben, nämlich bei einem Hotel-Aufenthalt in São Paolo: Tagelang wurde der bisher eher Beethoven-scheue Pianist bei jeder Liftfahrt mit Klavierkonzerten des Deutschen zwangsbeschallt. Was bei anderen zu einer Vermeidungshaltung geführt hätte, zeitigte bei Andsnes eine profunde Auseinandersetzung. Drei Jahre lang erarbeitet er die fünf Klavierkonzerte in aufsteigender Reihenfolge und spielte sie - als Pianist und signalgebender Ensembleleiter - mit dem Mahler Chamber Orchestra ein.
Das nächste Großprojekt auf CD, wieder chronologisch angelegt und mit dem gleichen Team, gilt nun Mozart. Hatte Andsnes im Vorjahr Werke des Salzburgers von 1785 präsentiert, tischt das Folgealbum nun Musik von 1786 auf. Warum Mozart? Andsnes hatte nach Material für neue Taten mit dem Kammerorchester gesucht, und "für mich war klar, dass sich in Mozarts Klavierkonzerten 1785 etwas ändert. Nicht nur schreibt er sein erstes Konzert in Moll. Wichtiger ist, dass er stärker zwischen Orchester und Solist zu trennen beginnt." Zum Beispiel in dem bewussten Opus in d-Moll: Wenn der Pianist nach der Orchestereinleitung auf den Plan tritt, dann "mit einer ganz anderen Musik; nichts von dem, was man bisher hier gehört hat." Das sei "eine Revolution in dem Genre", der Grundstein für das romantische Konzert mit einem heroischen Solisten. "Natürlich finden in diesem Konzert viele Dialoge mit dem Orchester statt, aber man erlebt auch Distanzierung", insgesamt teile sich eine Erzählung mit. Es komme nicht von Ungefähr, dass die Klavierkonzerte 22 bis 24 im Opern-Umfeld von "Le nozze di Figaro" entstanden.
Andsnes zieht solche Vergleiche nicht nur im Gespräch, sondern auch als Praktiker: Das neue Album beinhaltet neben Klavierkonzerten auch die Arie "Chio mi scordi di te?" (mit Christiane Karg). Mag sein, dass der kalendarische Ansatz des Projekts auf den ersten Blick bürokratisch anmuten, aber er gestattet ein facettenreiches Bild. Man wolle Mozart in aller Vielfalt zeigen, sagt der Pianist und präsentiert darum auf dem ersten Album auch die atmosphärische "Maurerische Trauermusik" - obwohl darin kein einziger Klavierton vorkommt.
Und warum nun auch bei den Mozart-Aufnahmen kein Dirigent? Gefährdet das nicht den Zusammenhalt? "Das kann herausfordernd sein, ist es aber nicht, wenn man diese Musik mit einem so großartigen Orchester spielt." Vor allem: "Wenn du einen Dirigenten hast, bist du vom Fluss der Musik distanziert. Das ändert sich, wenn man mit dem Klavier in der Mitte des Geschehens sitzt." Dabei erlaube diese Position nicht nur einen natürlicheren Dialog, sondern könne auch Timing-Probleme zwischen Solist und Orchester verringern.
Aber noch einmal zu Mozart - und zu seinem schärfsten Kritiker unter den Pianisten, Glenn Gould. Der hatte in Mozarts letzten Schaffensjahren einen Niedergang geortet und das c-Moll-Klavierkonzert von 1786 in einem legendären Fernsehauftritt als vorhersagbar abgekanzelt. Andsnes lächelt darüber nur. "Ich denke mir immer, wenn ich das Video ansehe: Gould spricht so überzeugend und provokant. Aber wenn er dann die Musik spielt, klingt sie wundervoll und widerlegt seinen Standpunkt total."