Alle heiligen Zeiten geht bei den Salzburger Festspielen ein Sängerstern auf, um sich nachhaltig am Firmament der Sängerwelt festzusetzen. Asmik Grigorian war so ein Fall: 2018 triumphierte sie als Kraftzentrum der "Salome", 2020 wiederholte sie diesen Erfolg mit ihren Energien in der "Elektra"; heuer ist sie als Allround-Protagonistin für alle drei Teile von "Il Trittico" gebucht. Stimmt zwar - die Litauerin war schon davor kein unbeschriebenes Blatt, hatte auch bereits an der Salzach reüssiert. Doch ihr Salzburger Hauptrollen-Abo dürfte die Karriere befeuert haben: Mittlerweile ist die 40-Jährige an der Mailänder Scala ebenso gefragt wie an der Wiener Staatsoper und an der Met.

Asmik Grigorian, Lukas Geniusas
Asmik Grigorian, Lukas Geniusas

Nun wäre zu vermuten, dass dieser Aufstieg auch auf dem Plattenmarkt Folgen gezeitigt hätte. Man könnte annehmen, die Edel-Labels hätte die Sopranistin mit einem Exklusivvertrag belagert, bis ein solches Papier schließlich mit einem goldenen Füller und einigem Knips-Knips unterzeichnet worden wäre.

Doch seltsam: Das ist nicht eingetreten. Soeben hat Grigorian ein neues Album lanciert, und nichts darauf spiegelt ihren Rang als kostbare Opernressource dieses Planeten wider. Kein Multi hat die Aufnahme verantwortet, sondern das französische Label alpha, kein Hochglanzporträt prangt auf dem Cover, sondern eine eher merkwürdige Fotocollage (seltsam, weil der Bart von Pianist Lukas Geniušas darauf fließend in Grigorians Haupthaar übergeht). Und statt eines griffigen Titels der Marke "La Diva" ist auf dem Cover das wohl abtörnendste Wort für die Zielgruppe Klassik zu lesen: "Dissonance".

Überwältigt auch mit Rachmaninow-Liedern: Asmik Grigorian. - © Rokas Baltakys
Überwältigt auch mit Rachmaninow-Liedern: Asmik Grigorian. - © Rokas Baltakys

Wer hier eine Zwölfton-Orgie befürchtet, ist allerdings auf dem Holzweg: Grigorian und ihr russisch-litauischer Begleiter Geniušas arbeiten sich durch Romanzen von Sergei Rachmaninow, und dieser hat auch ein Lied mit dem nämlichen Titel verfasst. Wobei dieses Repertoire hierzulande kaum wer kennt.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Nun mag man behaupten, dass Rachmaninow, Schlusslicht der russischen Romantik, nicht durchwegs brillant komponiert hat. Die versammelten Lieder, kaum eins länger als zwei Minuten, lassen aber kaum kreative Durststrecken erkennen und präsentieren sich mitreißend gefühlsgenährt: Herzeleid, Inbrunst, Drangsal und Melancholie sind die Grundkonstanten einer Musik, die gern Kontraste auslotet.

Grigorian bringt diese Extreme mit ihrem Spektrum vom Flüsterpiano bis zum Verzweiflungsforte markerschütternd zur Wirkung: Diesem Sopran, an sich delikat im Timbre, scheinen auf einer nach oben offenen Intensitätsskala keine Grenzen gesetzt zu sein - weshalb er den Flügel noch dann überstrahlt, wenn das Instrument gefühltermaßen unter dem Oktavdonner eines Klavierkonzerts bebt. Insgesamt schwergewichtige Musik, doch mit idyllischen Oasen gemildert, wie der Landschaftsmalerei "How Fair This Spot". Wie sich Grigorians Stimme da über einem perlenden Rhythmus zu einem sirenenhaften Spitzenton hochschraubt: zum Sterben schön.

Das einzige Manko dieser Eben-nicht-Edellabel-CD: Dass im Booklet die deutschen Lied-Übersetzungen fehlen.