Von all den Erniedrigungen, die Donald Duck in den Comic-Abenteuern von Carl Barks erdulden muss, ist diese besonders bizarr: In "Geld oder Ware" wird der Enterich während einer TV-Quizshow in Götterspeise gesteckt und sein Kopf mit einer Riesenportion Schlagobers übergossen. Warum? Weil Donald seinen Schnabel partout nicht halten kann und seinen drei Neffen die richtige Antwort vorsagt. Zur Strafe dafür muss er eben in der seltsamen Nachspeisenpanier, gespendet vom Sponsor der Show, vor sich hinleiden.

Ähnlich Süßwaren-verklebt kann man sich dieser Tage fühlen, wenn man einer neuen CD mit starkem Zeichentrick-Bezug lauscht. "The Disney Book" heißt sie, beinhaltet legendäre Melodien des Filmstudios und ist von Lang Lang, dem glitzerfreudigen Weltmarktführer unter den Klassik-Starpianisten, eingespielt worden. Wem da Grauenvolles dämmert, der liegt leider nicht falsch: Mit ihrer Ausrichtung auf ein möglichest breites Publikum unterschreitet diese Aufnahme selbst tiefste Erwartungen. Entsprechend angewidert reagiert das Feuilleton: Die "Neue Zürcher Zeitung" titelt gar "Ni hao, ich bin Lang Lang und mach nun Kitsch!" und meint, der Star-Pianist "schafft sich gerade selber ab".

Lang Lang The Disney Book (DG)
Lang Lang The Disney Book (DG)

Nun - so drastisch muss man es auch wieder nicht sehen. Es ist ja nicht erst seit gestern bekannt, dass Lang Lang an einem manierierten Geschmack und mangelndem Interpretationsgeschick leidet; "The Disney Book" ist dafür nur ein weiteres Beispiel. Was einem dieses Opus, erhältlich als Einzel-CD oder "Deluxe"-Doppelalbum, aber schon vergällt, ist so mancher liebgewonnene Film-Ohrwurm. Gut: Wenn Lang Lang Phil Collins’ Powerballade "You’ll be in my Heart" kapert, hält sich der Schmerz über diese pianistische Aneignung in Grenzen. Größer ist die Qual dagegen, wenn er auf die Kronjuwelen des Disney-Fundus zugreift. Das liegt nicht nur an Lang Langs geschmäcklerischem Spiel. Die Arrangements dieses Albums, so liest man, wollen Brücken bauen zwischen Pop und pompöser Klassik, entfachen dabei aber eher den zweifelhaften Glanz von Modeschmuck aus dem Ein-Euro-Shop als den edler Preziosen. Mal mischt sich hier ein katzengoldenes Geklimper mit Bläserschmalz und Streichersoße ("Let it go"), mal wirbelt Lang Lang solo über die Tasten und reichert Melodien dermaßen üppig mit Rachmaninow-Akkorddonner und Pedalnebeln der Marke Schmuddel-Impressionismus an, dass einem bei "Ein Löffelchen voll Zucker" prompt übel wird. Kurz: eine spektakuläre Verhunzung.

Alfredo Ovalles Sun Spot (Klangbauhaus)
Alfredo Ovalles Sun Spot (Klangbauhaus)

Klaviermusik mit Anspruch, Ecken und Kanten hat dagegen Alfredo Ovalles eingespielt: Der gebürtige Venezolaner und Wahl-Wiener widmet sich auf "Sun Spot" Arbeiten zeitgenössischer Komponistinnen. Das beschert dem Hörer zwar auch einige Durststrecken, aber vor allem fesselnde Hörabenteuer - etwa die "Vier Intermezzi" von Julia Purgina, die mit filigranen Linien eine erstaunliche rhythmische Kraft entfalten. Neutönendes mit Unterhaltungswert liefert die Kroatin Margareta Ferek-Petric: "I Repeat Myself When Under Stress" erweist sich, entgegen dem Titel, als klingende Wundertüte - mit saftigen Akkordkaskaden, knackiger Motorik und obskuren Soundeffekten.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.