Bemerkenswert: Während die Klaviermusik von Johann Sebastian Bach in die Ruhmeshalle der Musikgeschichte eingezogen ist, landete die seines Zeitgenossen Georg Friedrich Händel im Orkus der Vergessenheit. Liegt es daran, dass die vielen Opernerfolge Händels den Rest seines Opus (weitgehend) in den Schatten gestellt haben? Oder sind seine Partituren für Tasteninstrumente, darunter sage und schreibe 17 Suiten für das Cembalo, schlicht mies?

Wer das neue Album des Koreaners Seong-Jin Cho hört, "The Handel Project", wird dies wohl nicht behaupten. Zwar vertreibt Händels Klaviermusik die von Bach nicht vom Olymp der barocken Polyphonie: Händel hat offenbar weniger Hirnschmalz in die Architektur seiner Kontrapunkte gesteckt, so manches Stück aus seiner Feder macht zudem den Eindruck von gediegenem Easy Listening. Trotzdem ist der Wohlfühl-Faktor dieser Suiten - der Koreaner präsentiert die Nummer zwei, fünf und acht - eminent. Die schnelleren Stücke fahren einem ähnlich zügig in die Beine wie der fahrige Rhythmus einer flotten Händel-Arie; und die friedlichen Nummern bescheren verlässlich Seelenbalsam - ob sie nun eine markante Melodie besitzen oder, zugegeben, hier und da ein wenig unverbindlich vor sich hinplänkeln.

Seong-Jin Cho
Seong-Jin Cho

Und der Mann am Klavier? Seong-Jin Cho berücksichtigt die Tatsache, dass diese Musik ursprünglich für das Cembalo gedacht war, durchaus. Er lässt sich deshalb aber nicht in das Bockshorn eines kargen, kümmerlichen Originalklangs jagen. Seong-Jin Cho verzichtet weitgehend auf den Einsatz des Hallpedals, kultiviert dennoch ein reiches Klangbild. Das verdankt sich nicht nur dem modernen Steinway-Flügel, sondern auch einem Füllhorn von Nuancen: Quecksilbrige Lautstärkenverläufe verleihen der Darbietung Vitalität; geschmeidige Wechsel zwischen Legato und Staccato tun ein Übriges, heben die Stimmen prägnant voneinander ab. Erfreulich an diesem Album (das auch die Händel-Variationen von Brahms enthält) ist nicht zuletzt der Umstand, dass diese Millimeterarbeit den Klangfluss nicht hemmt: Die Musik rauscht, trotz aller Differenzierung im Detail, organisch und natürlich dahin.

Wientaler Dreigesang
Wientaler Dreigesang

Live zu hören ist Seong-Jin Cho übriges am 19. Februar im Musikverein, wo er auch Ausschnitte seines "Handel Projects" zu Gehör bringt. Könnte man sich schon jetzt eine Zugabe wünschen, es wäre wohl das g-Moll-Menuett (in der Klavierversion von Wilhelm Kempff) mit seiner magischen, schwerelosen Melancholie.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.

Wem nach Hörabenteuern gelüstet, dem sei die neue CD des Komponisten Volkmar Klien ans Herz gelegt. Der hat einen Liederzyklus zur - Achtung, Ironie! - höheren Ehre des Kapitalismus komponiert. Gier, Technokratie und Umweltzerstörung kommen in diesem englischsprachigen Opus (2021 für die Liverpool Biennale ersonnen) ätzend zu Wort. Die Gesänge, scheinbar arglos von einem Terzett angestimmt, erinnern teils an Barockmusik schlichterer Bauart, teils auch an Gstanzeln. Gehörig gepfeffert wird dies durch elektronische Zwischenspiele: Klien und Hannes Löschel lassen Störgeräusche fiepen, wabern und wobbeln, als würde der Kapitalismus schon aus dem letzten Loch pfeifen.