Der Name Bernd Alois Zimmermann lässt erzittern: Er war ein Komponist, dem es um die großen Fragen ging, und die behandelte er in konsequenter Zwölftontechnik, die er bis zur seriellen Musik, also der Ordnung aller musikalischer Parameter nach Maßgabe von Reihen und Proportionen, erweiterte. Seine Philosophie von der Kugelgestalt der Zeit, bei der alle Ereignisse vom Zentrum gleich weit entfernt, somit aber auch alle gleich gegenwärtig sind, führt ihn zur pluralistischen Kompositionstechnik, in der er in die seriellen Strukturen Zitate aus der Musikgeschichte von Johann Sebastian Bach bis Alexander Skrjabin montiert. Seine einzige Oper, "Die Soldaten" nach dem Drama von Jakob Reinhold Michael Lenz, ist ein Überwältigungsmusiktheater mit Simultanszenen, zu denen zwölftönige Eruptionen, Schlagzeugorgien, aggressiver Jazz, Bach-Choräle und anderen Zitate erklingen, oft alles gleichzeitig, die Handlung kommentierend, brutal an der Grenze des Erträglichen, um die humanistische Botschaft, die Anklage gegen Militär, Krieg und Unmenschlichkeit, zu vermitteln. In "Requiem für einen jungen Dichter" und "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" erweitert er sie um die in seinen Werken ohnedies oft präsenten religiöse Kontexte.

Zimmermann, 1918 geboren, erlitt als Soldat im Zweiten Weltkrieg eine Kampfmittelvergiftung und ein psychisches Trauma, von dem er sich nicht mehr vollständig erholte. Manische und depressive Phasen wechselten einander ab, ein unheilbares Augenleiden, das zur Erblindung führen würde, kam dazu. 1970 beging Zimmermann Suizid.

Bernd Alois Zimmermann Recomposed (Wergo)
Bernd Alois Zimmermann Recomposed (Wergo)

Dieser Komponist als Spaßmacher? Als Komponist greller Clownerien? - Ja. Denn Zimmermann arbeitete beim Rundfunk. Er komponierte etwa auch Kennmelodien und andere Gebrauchsmusik. Diese Zeit nützte er für kompositorische Fingerübungen, für Ideensammlungen, durchaus vergleichbar mit Giuseppe Verdis "Galeerenjahren".

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.
"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.

Heinz Holliger hat mit dem WDR-Sinfonieorchester viel von diesen frühen Werken Zimmermanns aufgenommen und sie auf drei CDs in Beziehung gesetzt zu seiner Sinfonie und zu seinem letzten Werk, "Stille und Umkehr".

Manche dieser Werke spielen mit der Grenze zur Unterhaltungsmusik - und überschreiten sie lustvoll, etwa "Alagoana" mit brasilianischen Reminiszenzen, oder "Rheinische Kirmestänze", ein musikalischer Spaß quasi mit einkomponierter Anheiterung. "Un petit rien" ist eine bunte Hörspiel-Begleitmusik mit Impressionismen, die schließlich in einem augenzwinkernden Boogie-Woogie zerfließen. Mehr Ernst legt Zimmermann in "Kontraste" an den Tag: Das imaginäre Ballett ist eine raffinierte Farbstudie samt einem brutalen Marsch. Das "Konzert für Orchester" wiederum dreht vitale neoklassische Pirouetten à la Strawinski und Albert Roussel, ehe es auf ein applaustreibendes Finale zuläuft.

Dann wieder instrumentiert Zimmermann Musik anderer Komponisten, unter anderem Ferruccio Busoni, Franz Liszt, Darius Milhaud, Modest Mussorgski, Friedrich Smetana - und bearbeitet Vorlagen von Komponisten der Unterhaltungsmusik.

Diese Drei-CD-Box ist ein unbedingtes Muss: Nicht nur für Anhänger der Neuen Musik, die wissen wollen, wie sich einer der wichtigsten Vertreter der Avantgarde sein Territorium bereitet hat, sondern für alle, die süffige, glänzend instrumentierte und dabei intelligente leichtere Musik schätzen. Man bekommt einfach nicht genug von diesen Stücken!