Für gewöhnlich steht das Publikum erst am Ende eines klassischen Konzerts auf. Am Dienstagabend war im Wiener Musikverein die Reihenfolge eine andere. Anlässlich des am 14. Februar verstorbenen Komponisten und Dirigenten Friedrich Cerha bat Stephan Pauly um eine Gedenkminute.
Still blieb es im goldenen Musentempel nicht. Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium "Paulus" sorgt für Dynamik. Der Concentus Musicus Wien setzt seine historischen Instrumente leicht und schwungvoll ein. Gleichermaßen erscheint Dirigent Stefan Gottfried: Graziös wie ein Schmetterling ziehen sich seine Schulterblätter am Rücken zusammen und öffnen wieder. Der Musik nachfühlend werden seine Arme die Verlängerung seines Flatterns und geben dem Geschehen weiteren Antrieb. So präsent wie bei den Stimmgruppen zeigt er sich auch beim Wiener Singverein. Jedoch schwimmen die Frauen des Chores textlich eher. Vokale, insbesondere das helle I, dominieren in den Worten, während Konsonanten vollkommen untergehen. "Licht" und "Finsternis" werden eins. Die Männer hingegen wissen, wie man dem Rausch des Nuschelns entgeht, und verzaubern mit Text und Klang. Gleiches gilt für die Sopranistin Julia Kleiter, die allumfassend zu überzeugen weiß. In voller Inbrunst Florian Boesch (Bass) als Paulus. Seine Interpretation ist stark von Variabilität geprägt, die selbst mehrmals wiederholte Textpassagen neu erleuchten lässt. Daneben geht Tenor Werner Güra unter, obwohl sein Einstieg meisterlich war, wenn auch interpretatorisch zurückhaltend.