Die Corona-Pandemie ist abgeflaut und die Besucherzahlen erholen sich, dennoch bleibt die Arbeit herausfordernd für Konzerthaus-Intendant Matthias Naske. Mit den hohen Energiepreisen und der galoppierenden Inflation gibt es neue Krisen zu meistern, erklärt er im Interview und spricht über einige Highlights der nächsten Saison, über das bedrohte Radio-Symphonieorchester Wien und den umstrittenen Dirigenten Teodor Currentzis.

"Wiener Zeitung": Die Sparpläne im ORF bedrohen die Existenz des Radio-Symphonieorchesters Wien. Generaldirektor Roland Weißmann hat den Fortbestand des RSO offen in Frage gestellt; unter den gegebenen Bedingungen sei das Ensemble nicht mehr vom Sender zu finanzieren. Was denken Sie über ein mögliches Aus?

Matthias Naske: Ich habe dies in einer ersten Reaktion barbarisch genannt und halte das immer noch für das richtige Wort. Ja - die Welt würde auch ohne das RSO Wien weitergehen. Aber das würde sie auch, wenn wir alles verlieren, was uns als Menschen ausmacht. Natürlich muss Wandel stattfinden, manchmal irritiert er. Aber ein Orchester zu zerstören, ist definitiv der falsche Weg.

Manche spekulieren, das RSO könnte aus dem ORF ausgegliedert werden. Was denken Sie darüber?

Das hielte ich für gefährlich. Wenn das Orchester privatwirtschaftlich geführt wird, könnte dies der Anfang vom Ende sein. Ich kann mir aber sehr wohl vorstellen, dass eine Mischfinanzierung - vom Markt und seitens der öffentlichen Hand - für das Orchester sinnvoll wäre.

Es gibt die Theorie, Weißmann wolle das Orchester gar nicht umbringen, sondern arbeite mit einer paradoxen Intervention: Als er die Sparmaßnahmen bekanntgab, habe er mit einem Aufschrei der Kulturszene gerechnet, den Protest also bewusst provoziert.

Ich bin zu wenig Politiker, um das beurteilen zu können. Ich habe von dieser These auch gehört, und es würde mich freuen, wenn das Ende des Orchesters in Wahrheit nicht angestrebt wird. Andererseits ist es respektlos gegenüber den Musikerinnen und Musikern, ihnen nicht wirklich zu sagen, was Sache ist - genauso respektlos übrigens wie gegenüber den Redakteurinnen und Redakteuren der "Wiener Zeitung", deren Medium bedroht ist. Die Kernfrage ist: Wie gehen wir miteinander um? Das ist auch ein wichtiges Thema im Konzerthaus.

Kommen wir also zum Konzerthaus.

Im Kern geht es bei unserer Arbeit immer um die Qualität der Beziehung zwischen den Menschen. Was wir leisten, ist eine Moderation zwischen den Sehnsüchten des Publikums und dem, was auf der Bühne stattfinden kann. Das ist eine wunderschöne Aufgabe.

Das Konzerthaus veranstaltet traditionell ein vielfältiges Programm, von Rock und Pop über Weltmusik und Jazz bis zur Klassik. Was sind Highlights der nächsten Saison?

Wir legen 401.000 Karten auf, 646 verschiedene Orchester, Ensembles, Bands beziehungsweise Solisten werden auftreten - eine ganz schöne Menge. Wir eröffnen die Spielzeit am 4. September mit Riccardo Chailly und dem Orchester und Chor der Mailänder Scala, die Stücke von Verdi spielen. Im Oktober führen Musiker der Wiener Volksoper unter Chefdirigent Omer Meir Wellber dann das Verdi-Requiem auf.

Unter den 17 großen Gast-Ensembles der nächsten Saison ist auch das Cleveland Orchestra. War das nicht bisher fix im Musikverein beheimatet?

Nein, in der ersten Saison, die ich programmiert habe, 2014/15, waren die Clevelander auch schon da. Ihr Chefdirigent Franz Welser-Möst wird sie in der nächsten Saison einmal bei uns leiten, außerdem wird er im Rahmen eines Schwerpunkts je einmal die Wiener Philharmoniker dirigieren und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Weitere Porträt-Künstlerinnen und -Künstler sind die Geigerin Patricia Kopatchinskaja, die unserem Haus seit langem freundschaftlich verbunden ist, der österreichische Hang-Spieler Manu Delago, der in London lebt, sowie die ägyptische Sopranistin Fatma Said. Und: Ich bin auf viele Details in diesem Programm stolz. Etwa darauf, dass die Jazzsängerin und zweifache Grammy-Preisträgerin Samara Joy im April 2024 an unser Haus zurückkehrt - oder auf die Veranstaltung, die die türkische Autorin Emine Sevgi Özdamar und ihr Landsmann, der Pianist Fazil Say, im April 2024 gemeinsam bestreiten. Ein schönes Projekt haben wir heuer außerdem Anfang Dezember zu Gast: Der südafrikanische Künstler William Kentridge hat einen Film zu Dmitri Schostakowitschs Zehnter Symphonie gestaltet, diese Arbeit wird zu einer Live-Wiedergabe der Musik durch das Luzerner Festivalorchester gezeigt.

Ein anderes Thema: Früher hatten die Wiener Festwochen mit dem Konzerthaus und dem Musikverein eine Kooperation; sie wurde von Festival-Intendant Tomas Zierhofer-Kin beendet. Wie geht es weiter, wenn Milo Rau ab nächstem Jahr die Festwochen leitet?

Ich empfand dieses Ende damals als schmerzvoll, aber nachvollziehbar; die Zusammenarbeit war nicht sinnvoll, weil es keinen inhaltlichen Austausch mit dem Festival gab. Ich habe jetzt aber mit Milo Rau gesprochen, und wir werden neue Allianzen schmieden. Ich bin zuversichtlich, dass er sich in der Stadt gut vernetzen wird.

Wie kommt das Wiener Konzerthaus mit den explodierenden Energiepreisen und der Inflation zurecht?

Die Stadt Wien und der Bund werden uns heuer aus diesem Grund voraussichtlich mit jeweils 500.000 Euro zusätzlich unter die Arme greifen. Insgesamt erhalten wir damit 4 Millionen Euro Subvention und kommen auf 16 Prozent öffentliche Förderung in unserem Budget. Das ist kein Ruhepolster, aber wichtig. Erst dadurch werden wir einen Gehaltsabschluss mit dem Personal vereinbaren können, der für alle Seiten in Ordnung ist. Unser Eigenkapital beträgt 1.054.000 Euro. Das Haus hat keine Liquiditätsprobleme, wir bleiben aber finanziell verwundbar. Ich bin zuversichtlich, dass es gut weitergeht.

Apropos: Wie läuft der Kartenverkauf? Nach der Pandemie litt die Kulturszene an einem Publikumsschwund.

Im Vorjahr mussten wir noch empfindliche Einbußen hinnehmen, wir haben für die Saison 2022/23 um 14 Prozent weniger Abonnements verkauft als in Vor-Corona-Zeiten. Aber im Oktober 2022 ist der Markt wieder angesprungen, und seither ist es kontinuierlich besser geworden.

Sie sind hier seit 2013 Intendant, Ihr Vertrag wurde bis 2028 verlängert. Langweilig wird Ihnen nicht?

Nein. Die Herausforderungen sind nicht kleiner geworden, und eine gewisse Glaubwürdigkeit bezieht man auch aus der Dauer der Amtszeit.

Sie haben am Anfang unseres Gesprächs von Wandel gesprochen und davon, dass er manchmal zwiespältig ist. Sprechen Sie da aus eigener Erfahrung als Leiter des Konzerthauses?

Ja. Sie wissen um meine alte, gute Beziehung zu Teodor Currentzis; Sie finden den Dirigenten aber nicht mehr im Programm der nächsten Saison. Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis eines intensiven, schmerzhaften Reflexionsprozesses. Currentzis (er lebt in Russland und arbeitet dort auch, Anmerkung) äußert sich weiterhin nicht zum Ukraine-Krieg. Ich hatte ihn um ein Statement ersucht, das bis heute nicht kam. Die politische Dimension dieses Schweigens ist so groß, dass wir uns entschlossen haben, auf Engagements von Currentzis ab der Saison 2023/24 bis auf Weiteres zu verzichten. Wir brechen allerdings keine Abmachungen: Am Ende der aktuellen Spielzeit wird Currentzis mit seinem Utopia-Orchester im Wiener Konzerthaus gastieren.