Herbert Blomstedt ist ein singuläres Phänomen. Mit 83 Jahren Debütant bei den Wiener Philharmonikern und seither einer der wichtigen Dirigenten dieses Orchesters, denkt er auch mit 95 noch längst nicht daran, den Taktstock an den Nagel zu hängen. Muss er auch mittlerweile bei Auf- und Abtritten am Arm geführt werden und im Sitzen dirigieren, erlauben ihm seine Arme und seine energiesprühende Mimik noch immer Erstaunliches in der musikalischen Gestaltung großer Orchesterwerke.
Gerade diese reduzierten Ausdrucksmöglichkeiten steigerten allerdings die Aufmerksamkeit des gesamten Orchesters umso mehr, wodurch sich ein selten gehörtes kammermusikalisches Miteinander einstellte, das in Brahms‘ Violinkonzert auch den Solisten Leonidas Kavakos - immerhin 40 Jahre jünger als Blomstedt - ergriff. In den meisten Fällen gewohnt das Werk schneller zu spielen, ließ sich der technisch wie immer makellose Solist neben seinen philharmonischen Kollegen auf das Abenteuer ein, das bekannte Stück unter Blomstedts Führung langsam, aber besonders behutsam und innig zu musizieren. Konnte er in der Kadenz des ersten Satzes seine Virtuosität im Alleingang unter Beweis stellen, kommunizierte Kavakos sonst intensiv mit Dirigent und Konzertmeister, mit den Solisten des Orchesters.
Kontrolle über Klangfluten
Nach der Pause präsentierte Blomstedt dem philharmonischen Publikum mit der Fünften Symphonie des dänischen Romantikers Carl Nielsen eine Novität. In dieser 1922 uraufgeführten zweisätzigen, in ihrem steten Kampf zwischen aufgewühlten Motiven und ruhigeren Naturklängen auch als "Kriegssymphonie" apostrophierten Symphonie behielt Blomstedt stets die volle Kontrolle über die Klangfluten und verdiente sich damit großen Applaus des Publikums.