Jetzt einmal ganz ehrlich: Johann Sebastian Bachs drei Sonaten und drei Partiten für Violine solo sind für den Zuhörer ebenso, nur auf einer anderen Ebene als der des ausführenden Musikers, anstrengend. Bach selbst verstand die Werke als eine "geistige Übung", gleichsam als musikalische Essays darüber, wie Harmonie, Melodie und Kontrapunkt in einem Solo-Instrument gebündelt werden können, das sich zum Akkordspiel nur beschränkt eignet und obendrein, anders als das von Bach ebenso mit Solowerken bedachte Violoncello, über keinen Bass verfügt.

Der Zuhörer hat also ebenfalls eine "geistige Übung" zu leisten, die er am besten mehrfach wiederholt, eventuell in kleinen Dosen. Anders gesagt: Diese Werke sind ideal für die CD, wo man einen Satz mehrfach hintereinander abspielen kann, um sich mit ihm vertraut zu machen, oder vielleicht einzelne Passagen herausgreifen möchte.

Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach

Zu diesem Zweck greift man am besten zu der neuen Einspielung, die der österreichische Geiger Martin Walch soeben bei Preiser vorgelegt hat. Walch nimmt den Notentext sehr genau, er verzichtet, obwohl es sich um Livemitschnitte handelt, auf die kleinen Schwindeleien bei Akkorden und mehrstimmigen Passagen, obwohl sie der Zuhörer ohnedies kaum je merkt.

Gabriel Pierné
Gabriel Pierné

Walchs Ton ist hell und strahlend, er spielt in der Klanggebung historisch informiert, ohne sich diesem Ideal sklavisch unterzuordnen. Es ist einfach beglückend, dass er dem Zuhörer die Emphase der Aufschwünge gönnt und wenn er in den schnellen Tanzsätzen die Rhythmen so federnd spielt, dass man beinahe schreiben möchte "über Gebühr", nur, dass es nicht über Gebühr ist, sondern genau richtig. Darf man aus den langsamen Sätzen höchste Expressivität heraushören, die nur deshalb nicht "romantisch" zu nennen ist, weil sie fest umrissenen Konturen folgt?

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Edwin Baumgartner.

Diese Aufnahmen sind hinreißend, und es wäre kein Wunder, ertappte man sich, dass man die Werke doch als Einheiten durchhört. Ein Muss!

Szenenwechsel in Stil, Zeit und Ort: Warner legt einen großen Teil des Schaffens von Gabriel Pierné (1863-1937) auf 10 CDs vor, teilweise in (technisch akzeptablen) historischen Einspielungen. Unter den Dirigenten sind Pierre Dervaux und Jean Martinon, unter den Pianisten Diane Andersen und Pierre Barbizet.

Pierné gehörte der Übergangs-Generation der französischen Komponisten an: Seine Wurzeln gründen tief in César Francks Romantik, er nimmt aber Einflüsse des Impressionismus auf, interessiert sich für Music Hall und Jazz ebenso wie für den gregorianischen Choral und die französische Kirchenmusik.

Vier CDs der Box umfassen das gesamte Werk für Soloklavier, die weiteren sind Kammermusik und Orchesterwerken gewidmet, darunter die funkelnde Suite aus dem Ballett "Cydalise et le Chèvre-pied" und die an Maurice Ravel erinnernden "Paysages franciscains". Hauptwerk ist das Oratorium "Les enfants à Betléem", dessen Klanggestaltung in älteren Instrumentierungslehren zu Recht als beispielhaft herangezogen wurde. Die Box ist preisgünstig - und eine Fundgrube für alle, die sich speziell für die Musik der Nachromantik interessieren.