Weil sich zwar alles sinnlos verkomplizieren lässt, ein solches Vorgehen aber bestens zum Thema passt, verzeihe man den folgenden Exkurs. Also: Zur Philosophie des Theodor W. Adorno gehört auch eine Idee namens dialektischer Umschlag. Heißt was? Dass ein Dogma geradewegs in sein Gegenteil kippen kann, ohne dass daran auch nur ein Wort geändert wird.
Tatsächlich geschah das - und jetzt sind wir beim Thema - dem Progressive Rock. Anno 1970 brachen seine Protagonisten zur Herkulestat auf: Ihr Werk sollte sich der "ernsten" Musik als ebenbürtig erweisen. Anfangs mit einem gewissen Erfolg: Die Orientierung am symphonischen Odem von Heroen wie Bruckner und Mahler bescherte nicht nur der bisher üblichen Songlänge ein viagraartiges Wachstum, sondern den Stücken auch ein gewaltiges Mehr an harmonischem und rhythmischem Raffinement. Ehrensache, dass die Arrangements in Zeiten fiepsiger Synties in allen Farben schillerten.
Science-Fiction-Esoterik
Und Ehrensache, dass auch die Texte mitmussten. Das Bizarre, Entrückte, Mystische ward besungen - also so ziemlich genau jene Romantik, die schon eine schwärmerische Literaturbewegung ab 1800 beseelte. Kein Wunder zwar, dass deren Ideale im Fahrwasser der Aquarius-Zeit wieder aufkamen. Beachtlich aber, welch neue Blüten sie trieben. Während sich die (einst) ziselierten Songs von Genesis auch romantischen Leibthemen wie Rittern und Nymphen widmeten, gingen Yes weiter: Die Band frönte einer Art Eso-Science-Fiction. "Starship Trooper, go sailing on by / Catch my soul, catch the very light." Derlei mag man verblasen nennen - oder verquast. Doch die Musik war, bei aller Gewolltheit, für rare Finessen gut.
40 Jahre später ist das Progressive daran Geschichte. Leider: kein Fall von Fremdverschulden. Zwar stimmt es, dass der Punk Ende der 70er die Prog-Rock-Feingeister von der Bühne rotzte. Ihre letzte Grube schaufeln sich Yes jedoch selbst.
In einer Zeit, da maue CD-Verkäufe und ein brummender Nostalgie-Markt so zirka jeden noch atmenden "Kult" auf die Bühne hieven, füllen nun auch (die zwischenzeitlich poppigen) Yes-Mannen wieder prog-rockend den Saal - oder so halbwegs, wie am Sonntag im Konzerthaus. Dass die Klientel mit dem wohnungseigenen Plattenspieler und Alben wie "Close to the Edge" besser bedient gewesen wäre, wurde aber bald peinvolle Gewissheit. Denn das "neue" Material von Yes verrät den dialektischen Umschlag: "Progressive Rock" - das meint nicht mehr das Streben nach Neuland, sondern nur noch das Verwalten einst zweckdienlicher Mittel. Nicht nur konservativ, nachgerade komatös klingt das neue Album: Die 23-minütige Kreativvakuum-Suite "Fly From Here" hätte auch Pink Floyd einfallen können - minus Roger Waters.
Grobschlächtige Klassiker
Und für solche Krot entschädigen nicht einmal Klassiker. Das würde im Konzerthaus schon allein wegen eines breiigen Sounds nicht fruchten, der selbst für Events der Klasse Planai-Open-Air skandalös wäre. Der Band (laut Presseaussendung das "beinahe" Original-Line-Up) kommt der Sound aber zupass: Benoit David hat ja nicht nur deshalb ein Problem, weil er als Stimm-Imitator des (unverzichtbaren!) Jon Anderson fungiert. Weil er die Falsetttöne allenfalls approximativ erreicht, erinnert er eher an Leslie Nielsens Auftritt als Enrico Palazzo. So gesehen hat es sein Gutes, dass Yes-Original Chris Squire mit dröhnendem Bass jeden Körper in einen lebenden Vibrator verwandelt und auch Keyboarder Geoff Downes (statt des legendären Rick Wakeman) nicht nur den Ventilator für sein Haupthaar (!) auf maximale Schubkraft gestellt hat. Während Alan White mit mechanischem Bumm-Tschack jedem vertrackten Takt den Reiz nimmt, schlägt sich immerhin Gitarrist Steve Howe wacker. Freilich: Die Finessen von Stücken wie "Starship Trooper", "Yours is no Disgrace" oder "And You and I" muss sich das geschulte Publikum selbst dazudenken.
Was für den Hörer bleibt? Die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten. Und somit immerhin waschechte Romantik.