Balance zwischen modernem Repertoire und Mozart-Pflege: Mojca Erdmann, hier in Wolfgang Rihms "Dionysos".
Balance zwischen modernem Repertoire und Mozart-Pflege: Mojca Erdmann, hier in Wolfgang Rihms "Dionysos".

Wien. (irr) Nicht einmal jeder Komponist hat eines. Mojca Erdmann schon: Die 35-Jährige ist Besitzerin eines absoluten Gehörs. Unnötig, mag man meinen, wenn die Frau mit dem wasserklaren Sopran auf ihrer Debüt-CD "Mostly Mozart" zum Leuchten bringt und dieses Programm nun am Samstag live im Konzerthaus absolviert. Doch die Hamburgerin ist nicht nur ein aufgehender Stern am Himmel des starsüchtigen Klassikbetriebs. Sie gilt auch als Hoffnungsträger für dessen glamourlosesten Sektor: die Neue Musik. Und in diesem komplexen Kunstbezirk ist ein Gehör, das jede Tonhöhe aus dem Nichts erkennt, durchaus von Vorteil.

Mit dieser Musik ist Erdmann auch schon länger verbandelt. "Meisterkomponisten schreiben für sie", huldigte ihr ein Artikel im Vorjahr. Erdmann selbst sieht die Zusammenarbeit ohne Pathos - aber mit einem gewissen Stolz. "Ich habe das Glück, mit den Komponisten über ihr Werk sprechen zu können. Änderungen waren aber noch nie nötig", erzählt sie - und meint, dass die Komponisten ihre Stimme wohl schon beim Schreiben im Kopf hätten. Solche Maßarbeit leistete etwa Aribert Reimann im Liederzyklus "Ollea". Auch Wolfgang Rihm war ihr Notenlieferant - zuletzt für die Uraufführung der "Dionysos"-Oper in Salzburg 2010.

Reimann in der Lounge


Freilich, kleine Nachteile hat die Nähe zur Gegenwart schon. "Die Partituren kommen oft nicht gerade früh", sagt Erdmann; im Fall des "Dionysos" nur ein paar Monate vor der Uraufführung - während sie gerade im Theater an der Wien sang. "Ich habe dann fast jede freie Minute für das Üben genützt - wobei man natürlich auf die Stimme achten muss, wenn man am gleichen Abend auf der Bühne steht."

Lässt sich Mozart vergleichsweise leichter angehen? Für Erdmann ist das inkommensurabel. Der Nachteil beim Klassiker jedenfalls: dass es längst Referenzaufnahmen gibt und damit Erwartungen beim Hörer. Wenn die gefeierte Mozartsängerin ihr diesbezügliches Repertoire vergrößert, versucht sie, ohne Aufnahmen zu arbeiten. Und nach dem eigenen Klangideal. "Je weniger Schleifer, desto authentischer wirkt die Musik."

Ausdruck ohne gefühlige Mätzchen: Diese Rechnung geht auch bei der Debüt-CD auf, die nun mit gleicher Entourage (La Cetra Barockorchester Basel) live zu hören ist. Ob Erdmann denkt, ihr Label auch für ein zeitgenössisches Projekt erwärmen zu können? "Unmöglich wäre das nicht, es gibt Überlegungen. Aus meiner Sicht geht es der Deutschen Grammophon ja nicht nur um Verkaufszahlen." Und mit Reimann habe sie sogar schon bei Jugendlichen reüssiert - nämlich, als sie bei der "Yellow Lounge" von Universal Music in Club-Atmosphäre auftrat. "Es war spannend: Die Leute waren wirklich begeistert."

Die Musik der Jugendlichen hört Erdmann eher selten - nicht aus Geschmacksgründen, sondern weil sie so viel Musik singe, dass sie privat selten welche höre. Wobei: Ein Wunschprojekt gäbe es schon. Was aus ihrem einstigen Violin-Studium geworden ist? "Die Frage macht mich immer verlegen. Aber ich hätte total Lust, mit Kollegen, die auch ein Instrument gelernt haben, Kammermusik zu machen." Verstimmte Saiten würde ihr Gehör dann jedenfalls untrüglich erkennen.