
Während alle Beteiligten immer und angestrengt die Pose "furchtlos und entschlossen in die Zukunft blickend" einnehmen, gilt als ausgemacht, dass dieser Weg in die Zukunft nur in Bezug auf Alltagsmusik, soziale Ordnungen, mediale Techniken und Konzertsituationen aus lang vergangenen Zeiten geschehen kann und darf. Neue Musik beharrt so in ihren sich bemüht zeitgenössisch gebenden, streng standardisierten Modellen von Widerständigkeit ehern auf implizite Grundgesetze wie Rhythmusverbot, Tonalitätsverbot, Partitur- und Konzerthausgebot, während sie sich an jene Reste von Ewigkeit klammert, die sie im gegenwärtigen klassischen Betrieb noch zu finden meint.
Eine Frage des Glaubens
Neue Musik mit ihren starren Hierarchien und genau definierten Möglichkeitsräumen hat viel von dem, was Glaubensgemeinschaften eignet, nämlich den Willen, ihren Alltag "in Nachfolge von" von Regeln bestimmen zu lassen, deren Herkunft es nicht zu hinterfragen gilt. Denn diese Regeln mögen vielleicht einengen, aber gerade in dieser Einengung ergibt sich auch ein Mehr an Sicherheit und "in Andenken an" erwächst daraus das erhebende Gefühl von Überlegenheit.
Während die ursprünglichen Motivationen im Nebel des Gründungsmythos versinken, bleiben aussedimentierte, implizite Regeln zurück, die als dermaßen unverzichtbar angesehen werden, dass sie, mit all ihrer Wirkungsmacht, in der Praxis unsichtbar werden. Und so scheint denn auch das eigentliche und ursprüngliche Opus magnum der gegenwärtigen Neuen Musik, dessen Spitzen in Form von Orchester- und Ensemblestücken in diese Wirklichkeit ragen, etwas zu sein, was immer schon eine der hehren Aufgaben europäischer Glaubensgemeinschaften im Belagerungszustand war, nämlich die Verteidigung des Abendlands.