
Den vierten Akt hat Puccini irgendwie angeklebt. Und Manons Ende unter brennender Wüstensonne wirkt auch ein bisschen klebrig. Beinahe wäre sie ja ins Kloster gegangen, doch der schneidige Student Des Grieux erweckt erotische Begierden, während der schon ältere Geronte de Ravoir eher Lust auf Wohlstand macht. Zwischen diesen beiden Männern schwankt das Mädchen. Irgendwann wird der Alte böse und holt die Polizei. Die verfrachtet Manon in eine amerikanische Strafkolonie, Des Grieux folgt ihr. Der Rest ist Wüste.
1893 wurde Puccinis "Manon Lescaut" uraufgeführt, wenige Jahre vorher gelang Jules Massenet mit seiner "Manon"-Variante ein Welthit. Puccini, um Differenz bemüht, findet zu einer regelrecht modernen Dramaturgie, allerdings wirkt die Musik noch arg traditionsbewusst, mit schön ausgreifenden Bögen und süffig unterfütterten Sehnsuchtskantilenen sowie kirchentonalen Einsprengseln. Wunderbar, wie Michael Boder am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters die Klangmischungen hörbar macht, dazu kommt eine ideale Besetzung. Gal James wirft sich mit Wucht und perfektem Verzweiflungsmelos in die Manon-Schlacht, Gaston Rivero gibt dem Jungspund Des Grieux auch ein paar reifere Töne. Dazu noch Wilfried Zelinkas wütend orgelnder Geronte, Javier Franco als Bruder Manons und die brillante Dshamilja Kaiser als Madrigalistin sowie die von Bernhard Schneider einstudierten Chöre - musikalisch alles sehr gut in Graz.
Stille Begleiter
Und was macht Regisseur Stefan Herheim? Er vertraut der Geschichte und traut ihr doch nicht. Herheim verfrachtet die Chose ins Paris um 1880. Des Grieux ist der Künstler Frédéric-Auguste Bartholdi, der gerade an der Freiheitsstatue arbeitet. Irgendwann taucht ein merkwürdiger Herr mit Schnurrbart und Melone auf. Er singt gern lautlos mit und läuft mit einem Büchlein herum. Ist das wirklich Puccini? Auch ihn integriert Herheim mühelos als stillen Begleiter, dem Manon am Ende wirklich herzergreifend ihr Schicksal klagt.
All das könnte nun unglaublich platt und konstruiert daherkommen, doch Herheim gelingt es, einen kreativen Rest Unordnung zu bewahren. Es gibt auch bei dieser Produktion erneut jenes für Herheim typische Ineinanderfließen unterschiedlicher Zeiten und Motive. Jedes Detail sitzt präzise.