Um den Marktwert von Renée Fleming, Diva assoluta der US-Oper, zu ermessen, muss man nicht unbedingt Klassikkenner sein. Modegrößen wie Vivienne Westwood schneidern für sie; Künstler wie Chuck Close verewigen sie auf der Leinwand, Jazzstars wie Brad Mehldau verführen zum Crossover. Aber was wohl doch der wichtigste Erfolgsgradmesser ist: Durch die Arbeitspartnerschaft mit Christian Thielemann, derzeit als Übermensch unter den Dirigenten umjubelt, darf die 53-Jährige weiterhin als unangefochten in ihrem Kerngeschäft gelten.

Am zugehörigen Charisma gebricht es jedenfalls nicht, wie man am Dienstag im Großen Musikvereinssaal konstatierte. Da war sie nun also nach dem abgesagten April-Konzert: Das Haar toupiert, das Lächeln warmherzig, um den Leib eine Komposition aus Blauschwarz, später raumgreifende Stoffbahnen in funkelndem Gold. Frauliche Anmut und dramatischer Prunk: Was eine Diva ausmacht, trat plastisch vors Auge.

Mit der Fortissimo-Rakete zum Spitzenton

Rein musikalisch gab dann aber das Dramatische den Ton an, genauer: die große Geste. Das verwundert auch insofern wenig, weil Opernsänger selten auf jene subtile Signalgebung geeicht sind, die als Kammermusik-Ideal gilt - und die in den Weiten des Goldenen Saals wohl verpufft wäre. Bedenklich nur, wenn dieses Streben nach maximaler Wirkmacht mit ebensolchen Lautstärken einhergeht. Und die bot Fleming im Übermaß.

Imposant zwar, wie viel Energie noch im Raum glühte, nachdem die Amerikanerin fünf mysterienschwangere Lieder Alexander Zemlinskys abgefackelt hatte. Die Schönberg-Ballade "Jane Grey", schon in Zeile drei mit einem Fortissimo torpediert, geriet aber zum erratischen Parforce-Akt. Und bei Mahlers Rückert-Liedern war mehr erzwungen als ersungen: Da wirkten Flemings Fortissimi wie Trägerraketen auf dem Weg zum (öfters verfehlten) Spitzenton. Was nicht heißen soll, dass die Sopranistin kein wohlklingendes Kapital mehr aus ihrer Stimme schlüge. Bei Hugo Wolf etwa blitzten sie doch auf, ihre kostbar reinen Töne mit dem fließenden Dringlichkeitsgewinn im Legato. Und dass sich die sympathische Dame mit einer Wienerischen Note verabschiedete, heizte den Schlussapplaus umso mehr an (der natürlich auch dem beseelten Klavierspiel von Maciej Pikulski gelten musste).

Verdi-Wucht
an der Staatsoper

Wer hohen Stimmdruck in stimmigem Umfeld erleben will, dem sei zum versöhnlichen Ausklang ein Besuch der Staatsoper angeraten: Dort veräußert der Tenorkapazunder Johan Botha die Eifersucht des Otello mit einer fokussierten Wucht, die ihresgleichen sucht (weitere Termine: 13., 18. und 21. Dezember). Wobei daneben nicht nur Falk Struckmann als diabolischer Jago frappiert, sondern auch das schnittig-geschmeidige Dirigat von Bertrand de Billy, das am ersten Abend mit blitzsauberen Blechstürmen einherging. Mögen sie weiterhin so akkurat wüten.