Priamiden gegen Griechen, Menschen gegen Götter. Mozarts frühreife, ausgefeilte Oper "Idomeneo" verfolgt ein altertümliches Spiel, dessen Raffinesse jedes Mal aufs Neue staunen macht. Der Plot ist bekannt, beliebt und blutrünstig: Kreterkönig erhält von Meeresgott im Gegenzug für die glückliche Heimkehr aus Troja die Auflage eines Menschenopfers. Blöd nur, dass es den eigenen Spross erwischen soll. Leid, Verstrickungen, Auflösung: Alles endet gut.

Wenn René Jacobs mit seinem authentischen Freiburger Barockorchester in das ehrwürdige Theater an der Wien kommt, scheint sich ein logischer Kreis zu schließen. Und die Sache geht noch besser aus. Zumindest im Orchestergraben. Mit voller Wucht, in den voluminösen Basspartien aufgehend, ließen sich die Musiker in die Partitur fallen. Jacobs trieb das Ensemble vor sich her, kein Misston war zu hören: Diese Intonationstreue soll dem Originalklangensemble erst einmal einer nachmachen. Den befriedenden dritten Akt dominierten bezaubernde Bläserstimmen. Kammermusikalisch, nach Art einer intimen Nachtmusik erklangen Oboen wie Flöten und Hörner.

Eintönige Landschaft

Damit war also eine nicht unwesentliche Vorbedingung für eine exzellente Aufführung geschaffen. Kreta als depressives Feld aus Asche und zerschlissenen Bundesheerstiefeln zu zeigen, steht immerhin der Grundstimmung des schweren Stoffes gut an. Freilich, angesichts dieser Optik mag sich der eine oder andere Ex-Grundwehrdiener gefragt haben, ob es sich hier um massenhaft bequeme Feldschuhe leicht oder doch um die geländetauglichen Zweierböck’ handelt. Die Bilder von Regisseur Damiano Michieletto (beliebige Kostüme: Carla Teti) waren jedenfalls trüb und blieben es auch: Asche, Blut, fliegende Koffer und Sessel, ein tatkräftiger (und schön anzuhörender) Arnold Schoenberg Chor. Und immer wieder Stiefel. Bei einer Spiellänge von mehr als drei Stunden wurde das allerdings ein bisschen eintönig.

Ilia (schöne, aber recht diskrete Stimmführung von Sophie Karthäuser) schwang sich höchst schwanger über den Stiefelstrand. Schwanger? Ja, denn hier hatte sich die Liebe zu Idamante bereits recht umfangreich materialisiert. Warum auch nicht. Die göttliche Heilsverkündung oblag schließlich ihrem an die Wand projizierten Embryo. Idomeneo als Neugeburt, als Abnabelungsprozess, vielleicht sogar ein bisschen Ödipus-Konflikt. Ob eine Hollywood-Geburt mit blutiger Matratze und nassen Bettlaken der öfters gestrichenen finalen Ballettszene gut stand? Darüber ließe sich streiten.

Apropos Striche: Dero gab es bei Jacobs wenige, er ging von der Münchener Urfassung ab zugunsten von gänzlich ursprünglichen Einfügungen - ein interessantes, aber bisweilen etwas langatmiges Unterfangen. Elettra (Marlis Petersen) agierte stimmlich sehr leicht, wähnte sich per Kaufrausch glückselig und überzeugte darstellerisch in der anstrengenden finalen Wahnsinnsszene. Solide agierte Julien Behr (Arbace). Richard Croft gab einen souveränen, aber auch recht locker lieblichen Idomeneo. Der beziehungsweise die Gewinnerin des Abends war jedenfalls Kretas Prinz Idamante: Die Mezzosopranistin Gaëlle Arquez changierte wunderbar zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Sie konnte der orchestralen Energie eine fesselnde, stimmgewaltige Kraft entgegenhalten, mit der sie bestimmt noch manch große Bühnen der Opernwelt erklimmen kann. Ein Abend mit Tiefen und Höhen.