Richard Strauss (11. 6. 1864 - 8. 9. 1949). - © adoc-photos/Corbis
Richard Strauss (11. 6. 1864 - 8. 9. 1949). - © adoc-photos/Corbis

"Unter all den Masken, die Strauss trug, war ein hohes Maß an Selbst-Verständnis verborgen, welches von den meisten stillschweigend akzeptiert wurde, anstatt dass man versucht hätte, es zu erklären." Das Bild der Maske, Metapher für Strauss’ essenzielle Gattung des Musiktheaters, symbolisiert nicht nur für den Dirigenten und Musikologen Leon Botstein die höchst widersprüchliche Persönlichkeit des sogenannten "Letzten Romantikers", dem als Propagandist seiner selbst die eigene Maskerade nur allzu oft zu entgleiten droht. Zwischen Kontinuitäten, Brüchen und Vollendungsphantasien verläuft somit eine musikalische Entwicklung, die in manchen Aspekten vom überzeichneten Narzissmus des Komponisten behindert wurde.

Am Schluss einer historischen Betrachtung über die Entwicklung des Musikdramas meint Strauss etwa: "Ohne unbescheiden zu sein, darf ich - natürlich im gehörigen Abstand - noch mein im Verein mit Hofmannsthal geschaffenes Lebenswerk nennen." Der "gehörige Abstand" wird nicht bei jeder Äußerung dieser Art eingehalten, und so verläuft die Vorstellung der eigenen Sendung als musikalische Konkretisierung Hegelscher Weltgeist-Vollendung konträr zum zeitgenössischen Musikschaffen, das er ab etwa 1910 mit Skepsis, später sogar mit Verachtung bedachte; dessen Vertreter waren ihm im freundlichsten Fall "eingebildete Narren in der Musik".

Strauss und Schönberg


Bevor Strauss begonnen hatte, seine eigene Tonsprache als die Vollendung des Wagnerschen Musikdramas, ja des Musiktheaters überhaupt, zu verstehen, ist bei ihm eine derartige Despektierlichkeit kaum zu bemerken. Über Arnold Schönberg etwa hatte er sich zunächst ein durchaus positives Urteil gebildet, das sogar die Förderung des zehn Jahre Jüngeren mit einschloss. An den Komponisten Max von Schillings schrieb Strauss im Dezember 1902 über Schönbergs Kompositionen: "Du wirst ebenfalls finden, daß die Sachen, wenn auch noch überladen, doch von großem Können und Begabung zeugen."

Doch als Schönberg es sieben Jahre später wagt, seinen Mentor um Unterstützung für seine "Fünf Orchesterstücke op. 16" zu bitten, erhält er folgenden Brief: "Es ist mir sehr schmerzlich, Ihnen Ihre Partituren ohne eine Zusage der Aufführung zurückschicken zu müssen, Sie wissen, ich helfe gern u. ich habe auch Muth. Aber Ihre Stücke sind inhaltlich und klanglich so gewagte Experimente, daß ich es vorläufig nicht wagen kann, sie einem mehr als conservativen Berliner Publikum vorzuführen."

Mit derselben Intensität, mit der Schönberg die Grenzen der Tonalität sprengt, entfernt sich Strauss zu Beginn des zweiten gemeinsamen Projekts mit Hugo von Hofmannsthal von den bitonalen Spannungsakkorden, mit welchen Elektra, die Protagonistin seiner zweiten Oper, ihre erste große Szene beginnt. Ab dem "Rosenkavalier" tritt eine durchgehend konventionellere Musiksprache in Erscheinung, die zwar die Feldmarschallin, den Grafen Octavian von Rofrano oder die commedia dell’arte-hafte Figur des Baron Ochs auf Lerchenau treffend zu charakterisieren vermag, doch kaum der Tochter des ermordeten Königs Agamemnon den Begleittanz in den eigenen Tod hätte beistellen können. Und doch wird dieser Bruch nicht von allen Zeitgenossen als solcher wahrgenommen, sieht doch Hofmannsthal in einem Brief an Strauss die "Elektra" dramaturgisch näher beim "Rosenkavalier" als bei der "Salome" des Oscar Wilde.

Für Strauss bedeutete der Tod seines Freundes und Librettisten Hofmannsthal einen massiven Einbruch. Der Leiter des Insel-Verlages, Anton Kippenberg, der Stefan Zweig unter Vertrag hatte, stellte, auf Strauss’ Bitte, 1931 den Kontakt mit dem Dichter her.

In "Die Welt von gestern" schildert Zweig seine ersten Eindrücke des berühmten Komponisten: "Nie hatte ich bei ihm einen solchen rapid auffassenden Kunstverstand, eine so erstaunliche dramaturgische Kenntnis vermutet. Noch während man ihm einen Stoff erzählte, formte er ihn schon dramatisch aus und paßte ihn sofort - was noch erstaunlicher war - den Grenzen seines eigenen Könnens an, die er mit einer fast unheimlichen Klarheit übersah."

Dass die anfänglich von beiden Seiten äußerst positiv aufgefasste Zusammenarbeit an ihrer einzigen Oper, der "Schweigsamen Frau", schließlich durch die Kulturpolitik des Dritten Reiches ein jähes Ende fand, ist wohl auch Strauss anzulasten, der sich in einem für Zweig beunruhigendem Maß mit den Machthabern zu arrangieren begann. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass der Komponist mit Erfolg dafür eingetreten war, dass am Theaterzettel der Dresdner Uraufführung der Name des jüdischen Librettisten erwähnt wurde, was Hitler und Goebbels dazu veranlasste, der Premiere am 24. Juni 1935 fernzubleiben.

Strauss hatte die Musik zu der Oper in einer Zeit vollendet, in der er das Amt des Präsidenten der NS-Reichsmusikkammer ausübte, das ihm vom Regime angeboten worden war. In einem Brief an Zweig vom 17. Juni 1935 verteidigt der Komponist seine politische Funktion, deren Stellenwert er selbst nicht vollen Glauben zu schenken scheint: "Daß ich den Präsidenten der Reichsmusikkammer mime? Um Gutes zu tun und größeres Unglück zu verhüten. Einfach aus künstlerischem Pflichtbewußtsein!" Dieser Brief wird von der Gestapo abgefangen, Strauss zum Rücktritt von seinem Amt gezwungen. Propagandaminister Joseph Goebbels notiert in sein Tagebuch: "Richard Strauß (sic) schreibt einen besonders gemeinen Brief an den Juden Stefan Zweig (...) Der Brief ist dreist und dazu saudumm. Jetzt muß Strauß auch weg. Diese Künstler sind doch politisch alle charakterlos. Von Goethe bis Strauß."