Die Berührungsängste, die lange Zeit das Verhältnis von "E"- und "U-Musik" bestimmten, gibt es nicht mehr. Längst arbeiten sich Musiker aus dem Umfeld von Jazz, Improvisation oder Elektronik (wie etwa der Posaunist Bertl Mütter) an den Filetstücken des klassischen Repertoires ab (wie etwa Schuberts "Winterreise"). Seit geraumer Zeit dürfen sie dies auch innerhalb der Hochburgen klassischer Musikkultur tun (wie etwa dem Wiener Konzerthaus, in der neuen Reihe "Schule des Staunens"). Schön war die Respektlosigkeit, mit der Mütter Schuberts Notentext begegnete. Heilsam angesichts des heiligen Ernstes, mit dem klassisch ausgebildete Musiker für gewöhnlich ein "Werk" behandeln. Nicht ganz klar wurde allerdings, was genau Mütters zum Klamauk tendierender Vortrag mit Schuberts Liederzyklus zu tun hat.

Keinerlei Unklarheiten gab es diesbezüglich bei Ian Bostridge, obwohl auch dieser in der Folge alles andere als eine alltägliche Interpretation der "Winterreise" ablieferte.

Der Tenor, der wegen seines ätherischen Gesang und eigenwilligen Bühnenverhaltens mitunter des Manierismus bezichtigt wurde, war hier von vergeistigtem Schönklang denkbar weit entfernt. Stattdessen konnte sich seine Stimme eiskalt wie Stahl in einen Vokal förmlich hineinbohren, um im nächsten Augenblick lyrische Zurücknahme, schroffen Ernst oder berührende Wärme auszudrücken - wobei ihm Thomas Adès am Klavier weniger Begleiter als ebenbürtiger Partner war. Dass sich Bostridge wie gewohnt rastlos auf dem Podium bewegte, verstärkte den dramatischen Eindruck. Jubel beim Publikum.